Klimabedingungen

Mathias Maurer

Die Liste würde rasch die ganze Seite füllen und betrifft in weitestem Sinne unser gesamtes Konsum-, sprich Kaufverhalten. Denn in dem Moment, in dem etwas gekauft wird, wird das Signal gegeben für die Produktion des identischen Produkts unter gleichen Bedingungen  – weltweit. Eine Tat, mit durchschlagender Wirkung, auch wenn sie sich meinem Bewusstsein entzieht. Interessanterweise scheint jedoch das persönliche Betroffenheitspotenzial mit der Nähe der eigenen Handlungsmöglichkeiten abzunehmen: Es wird nicht vor den preis­drückerischen Discountern und den Lagerhäusern der Onlinehändler demonstriert; spätestens alle zwei Jahre müssen die neuesten Smartphones her, die Datenmengen erzeugen, dass den Groß­servern der Strom auszugehen droht; unverzichtbar bleibt auch die morgendliche Dusche – wenn es auch ein Waschlappen täte, und »niedrigster Preis« ist bei der Internetrecherche die Sucheinstellung. Unsere Empörung und Sehnsucht nach der »großen Transformation« zielen dagegen nicht auf unseren Nahbereich, sondern auf die fernste Option: die Erde als Ganzes und ihr Klima. Während Schwellen­länder in klassischer Manier des Manchester-Kapitalismus mit Volldampf auf ein mit den führenden Industrienationen vergleichbares Bruttosozialprodukt kommen wollen – wer wollte ihnen die Aufholjagd verbieten –, wird es hierzulande kritisch beäugt, einen SUV zu fahren oder ein Steak zu bestellen, werden Flug- und andere Schamgefühle kultiviert und ökologisch korrekte Verhaltens­optimierungen eingefordert, die Züge einer beklemmenden Gesinnungskontrolle annehmen können, an der Freundschaften zu zerbrechen drohen. Was für die einen ein schieres Existenzproblem, ist den anderen ein Luxusproblem. – Während aus einer bequemen Wohlstandslage die Klimafrage zur persönlichen Sinnfrage katastrophalen Ausmaßes hochstilisiert wird – »Ich rette die Welt« –, geht es global betrachtet immer noch um das nackte Überleben, das der Welt abgetrotzt werden muss. So betrachtet ist die Klimafrage tatsächlich eine soziale Frage, das heißt ein Verteilungs- und Preisbildungsproblem, das solange besteht, wie die »Billig«-Grundhaltung das Kaufverhalten bestimmt.

Es gilt aber auch zu akzeptieren, dass der Bewusstseins- und Betroffenheitslevel in der Klimafrage sehr unterschiedlich ist. Andererseits: ein globales Problem kann nur aus einem menschheitlichen Bewusstsein gelöst werden, wohlwissend, dass die Masse der Menschheit als Ganzes ihr Verhalten nur ändern wird, wenn es sich »lohnt«. Und doch – handeln muss jeder alleine und da könnte er, wenn er nur wollen würde, viel und sehr konsequent etwas für die Klimarettung tun. Diese Widersprüchlichkeit der Welt und des eigenen Verhaltens ist auszuhalten. Weder ist an ihr zu verzweifeln noch ist sie fanatisch zu ignorieren, sondern darauf zu bauen, dass die eigene, aus Mitgefühl und Liebe geborene Tat Beispiel für andere wird.