Knapp daneben ist auch vorbei

Mathias Maurer

Abgesehen davon, dass es nicht die Funktion eines Editorials ist, mit allen bibliographischen Nachweisen esoterische Inhalte aufzurollen, sondern knapp und in gewollter Verkürzung Denkanstöße zu formulieren, sehe ich diese in keinem Widerspruch zu jenen. Gemeint ist damit ja nicht, dass »alles von selbst« gehen würde, wobei ich durchaus behaupten würde: Kein auch noch so menschenkundlich reflektierter, methodisch ausgeklügelter und exzellent vorbereiteter Unterricht kann garantieren, dass es beim Schüler funkt! Das geschieht nicht durch den Stoff, nicht durch die Methode, sondern nur durch den lehrenden Menschen – wie Linde selbst schreibt.

Wissen, Methode, Vorbereitung reichen nicht aus, denn der erziehungskünstlerische Kniff besteht gerade darin, dass der Lehrer in seinen Intentionen zurücktritt, wenn er am Morgen vor der Klasse steht, und wahrnimmt, was in ihr, in den einzelnen Kindern lebt und sich aussprechen möchte. Das bedeutet, in einen resonanten Lernraum einzutreten (Hartmut Rosa) – was den eigentlichen künstlerischen (Unterrichts-) Prozess eröffnet. Gemeint ist also, einen Umraum dialogisch geistig so anzureichern, dass die Fragen von den Kindern selbst kommen – und nicht künstlich, pädagogisch gestellt werden (wobei man im Hinterkopf die Antworten und das Unterrichtsziel schon kennt, wie wir es aus staatlichen Lehramtsprüfungen und Unterrichtsproben kennen). Ein vorbereiteter Lehrer hat ein Unterrichtsziel vor Augen, das er mehr oder weniger erreichen will.

Ob er jeden Schüler damit erreicht, ist offen, vielleicht sogar bei seiner Vorbereitung sekundär. Hand aufs Herz: Er ist es, der dann im Unterricht die Resonanzräume zulässt, die seinem Unterrichtsziel dienen. Dieses Verhältnis macht »menschliche Begegnung« asymmetrisch.Ich meine, der Lehrer wird von den Kindern darüber belehrt, was er im Moment zu tun hat; aus der aktuellen Unterrichtssituation erwachsen seine pädagogischen Intuitionen und kreativen Einfälle. Ob ihm das gelingt, ist in erster Linie eine Frage der sozialen Kompetenz und der inneren Beweglichkeit.

Dass das Kind sich aus der »Peripherie« holt, was es braucht, erscheint widersprüchlich, ist es aber – wenn man prozesshaft denkt – nicht. Natürlich setzt der Lehrer Impulse und das Unterrichtsgeschehen entfaltet sich »aus dem Zentrum menschlicher Begegnung« –, aber er ist für das Kind Peripherie. Auch dass man sich dabei an den menschenkundlich begründeten pädagogischen Leitmotiven für die Jahrsiebte orientiert – Nachahmung, geliebte Autorität, Weltinteresse – steht dazu nicht im Widerspruch. Mir ging es darum, darauf hinzuweisen, dass man seine erzieherische und lehrende Haltung gegenüber dem, was man beim Kind erreichen will, überdenkt. Das heißt, sich bewusst, nicht weniger wahrnehmend, zurückhält; dass man das Kind sich selbst überlassen sollte, wäre ein Fehlschluss. Statt wissende Belehrung, pädagogische Aufnahme und Anschlussphantasie an das, was die Kinder mitbringen – und sicher: im besten Falle mit Anschluss an ihre vorgeburtlichen Ziele. Allerdings schmerzt mich die Vorstellung, dass wohl manche Seelen dabei auf der Strecke bleiben mussten, da sie nicht an der großen »Götterbelehrung« teilgenommen hatten – wie Linde schreibt.

Insgesamt rennt Linde mit seinen Ausführungen offene Türen ein, trifft jedoch nicht den Kern meines Anliegens: Sich offen zu machen für das aktuell Neue, das mir in den Kindern tagtäglich entgegenkommt. ‹›