König Kunde

Erziehungskunst | Woran liegt es, dass laut einer Bertelsmann-Studie von 2012 zwar 85 Prozent der Befragten sich ein anderes Wirtschaftssystem wünschen, aber nur zehn Prozent konsequent ihr Konsumverhalten an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten?

Rainer Müller | Wenn man bedenkt, wie wir in unserem System jahrzehntelang zum fröhlichen Konsumismus erzogen wurden, dann stehen wir vor nichts weniger als einem Kulturwandel und der beginnt natürlicherweise mit einem Auseinanderklaffen von neuen Verstandeseinsichten und eingefleischtem Verhalten.

EK | Wie sind Sie auf das Thema Gemeinwohlökonomie gestoßen, aus dem heraus Sie dieses Buch für Konsumenten geschrieben haben?

RM | Anstoß war das gleichnamige Buch von Christian Felber, das 2010 erstmals erschienen ist. Durch die Dreigliederung Rudolf Steiners war ich auf den Ansatz eines brüderlichen, dem Gemeinwohl dienenden Wirtschaftslebens gut vorbereitet. Die Dreigliederung ist allerdings sehr erkenntnisbasiert, während die Gemeinwohlökonomie praktisch ansetzt. Man kann hier konkret anfangen und einen Prozess in Gang setzen, wie es 500 Unternehmen im deutschsprachigen Raum, zum Beispiel auch die Waldorfschule Freiburg-Rieselfeld mit ihrer Gemeinwohlbilanz – durchgeführt von Schülern der Oberstufe –, gemacht haben.

Das Buch König Kunde ist mein Versuch, Gemeinwohlwirtschaft nicht nur auf Unternehmen zu beziehen, sondern den potenziell alles entscheidenden, aber bisher magisch ans Bedient- und Versorgtwerden gebundenen Verbraucher durch hintergründige Geschichten über unser ökonomisches Unrechtssystem zum Nachdenken zu bringen und ihm seine noch nicht ergriffene Souveränität in diesem System aufzuzeigen.

EK | Reicht die Konsummacht des Verbrauchers nicht aus, um die Art der Produkte und der Produktion zu verändern?

RM | Einerseits signalisiert er mit jedem Kauf die Nachproduktion des Gekauften, ein kaufmännisch relevantes Signal für Produktion und Handel. Andererseits wird er durch überreiche Angebote so dominiert und manipuliert, dass er gar nicht dazu kommt, über seinen wirklichen und aus­reichenden Bedarf für ein gutes Leben im Einklang mit Mensch und Natur nachzudenken und diesen realen Bedarf als souveräner Auftraggeber an Produktion und Handel zu richten. Dazu müsste er sich allerdings noch organisieren, zum Beispiel in so etwas wie Konsumentenräte.

EK | Was ist unter einem Konsumentenrat zu verstehen?

RM | Ein solcher Rat setzt sich aus aufgeklärten und engagierten Bürgerinnen und Bürgern zusammen, denen es aber nicht darum geht, besonders billig einzukaufen, sondern die Wirtschaft durch ihre Konsumentenkompetenz auf Augenhöhe mit Produktion und Handel mitzugestalten, sowohl was die Art der Produkte, ihre Menge als auch ihren für Erzeuger und Natur gerechten Preis betrifft. Also verantwortliche Bürger, die eine bessere, menschliche und nachhaltige Wirtschaftsweise wollen, als die bisher herrschende, welche letztendlich von Profit und Verführung getrieben ist. Solche Konsumentenräte führen dann regelmäßig Befragungen bei Bürgern und Familien durch, um eine Beurteilungsgrundlage für den Bedarf und damit für die Produktion zu haben. Wie der Verbraucherschutz sollte diese Arbeit halbstaatlich sein und gefördert werden. Näheres dazu findet man im Anhang meines Buches.

EK | Und wie könnte man einen solchen Konsumentenrat auf die politische Agenda bekommen?

RM | Wir bekommen für die Zukunft entweder eine links-grüne Gemeinwohl-Partei – wovon ich träume –, für die sollte das dann ein wichtiger gesellschaftspolitischer Programmpunkt sein, oder es wird endlich den bundesweiten Volksentscheid geben, bei dem sich solche Initiativen Gehör und gesetzliche Anerkennung verschaffen.

EK | Gehen Sie davon aus, dass ihr Buch die Bürger zu emanzipierten und gesellschaftlich aktiven Konsumenten macht?

RM | Es ist zumindest ein Versuch, weil ich mit den anschaulichen und erlebbaren Geschichten, bei denen auch der Humor eine wichtige Rolle spielt, Gefühl und Betroffenheit des Lesers erreichen möchte.

Geschichten und Bilder wirken in diesem Sinne ja oft nachhaltiger als intellektuelle Distanz. Schildert man den ruinösen Preiskampf um den Liter Milch aus der Sicht von zwei sich auf der Weide unterhaltenden Kühen, oder einer Tomate, die einer jungen Frau im Traum erscheint und erzählt, wie sie in Süditalien aufwuchs, von Flüchtlingen aus Ghana zu Sklavenlöhnen geerntet und in Kisten verpackt wurde mit der Aufschrift »Export to Ghana«, kann einem das unter die Haut gehen. Eine Leserin schrieb mir, dass ihr Mann beim Lesen weinen musste.

EK | Sie sehen also einen direkten Zusammenhang zwischen unserer Wirtschaftsweise und dem Flüchtlingsproblem?

RM | Ja, einen direkteren gibt es gar nicht. Das Flüchtlingsproblem hat dort seine Ursache. Denn die Flüchtlinge aus Ghana waren selbst Tomatenbauern in Ghana und sind deshalb geflohen, weil sie gegen die billigen Tomaten aus Italien nicht mehr konkurrieren konnten. Und das Ganze durch EU-Subventionen finanziert. Das ist nur ein Beispiel, wie wir durch unsere koloniale Art des Wirtschaftens – abgesehen von Bürgerkriegen in diesen Ländern, die wir durch Waffenexporte angeheizt haben –, für das Elend, das zur Flucht führt, mitverantwortlich sind, die Konsequenzen aber nicht tragen wollen.

EK | Verniedlichen die 42 Kurzgeschichten nicht doch die harte Realität?

RM | Alle Geschichten sind mit Fakten belegt und durch Nachrichtenlinks auf der Homepage nachvollziehbar. In der kafkaesken Traum-Geschichte Das Urteil wird zum Beispiel ein unbescholtenes Ehepaar angeklagt, dass es durch den Kauf von Kaffee, Textilien und elektronischen Geräten 32 Sklaven unter unmenschlichen Bedingungen für sich hat arbeiten lassen. Wie sich herausstellt, kein Traum, sondern ein realer Albtraum. Hätte ich die Fakten hinter den Geschichten einfach nur informativ aufklärend geschildert, wären durch zuviel Negatives Abwehrreaktionen zu erwarten gewesen, so aber erzähle ich scheinbar nur leichthin eine Geschichte, die es aber in sich hat und auf subversive Weise zum Nachdenken anregt.

EK | Sie zitieren zu Beginn des Buches die bayerische Verfassung, in der steht: »Alles wirtschaftliche Handeln dient dem Gemeinwohl.« Wie wollen Sie diesen Vorsatz wieder stärker berücksichtigt sehen?

RM | Einen wichtigen ersten Schritt dazu versucht die Gemeinwohlökonomie, die mit der Einführung einer Gemeinwohl-Bilanz Unternehmen und Politik dazu bringen möchte, ähnlich der Finanzbilanz, eine solche Leistungs­bilanz für das Gemeinwohl vorzulegen. Es ist ja immer wieder deutlich gemacht worden: Einkommen ist kein Eigenverdienst, sondern erbrachte Gemeinschaftsleistung. Durch unsere kapitalistische Erziehung ist dieser Zusammenhang für das Bewusstsein völlig verschleiert worden und kann kaum noch gedacht werden. Man denke an die teilweise exorbitanten Managergehälter; sie sind Ausdruck dieser Fixierung auf eine scheinbare Einzelleistung.

EK | Was wollen Sie mit Ihrem Buch bewirken?

RM | Ich möchte den Leser auf unernst-ernste Weise an die Widersprüche und Ungeheuerlichkeiten unseres derzeitigen wirtschaftlichen Verhaltens im Kleinen wie im Großen heranführen, ihm aber zwischen den Zeilen immer wieder auch mutmachende Alternativen aufzeigen.

Es ist für Leser geschrieben, die vielleicht schon manches wissen über Nachhaltigkeit und so, das aber bisher noch nicht so richtig an sich herangelassen haben, und es ist für Schüler und Heranwachsende geschrieben zur Einstimmung in ein zukünftiges Engagement als kritische und politisch aktive Konsumenten, insofern auch für Wirtschaftskunde in Schulen geeignet.

Buch: Rainer Müller: König Kunde – Kurzgeschichten für Konsumenten, mit einem Vorwort von Christian Felber und Karikaturen von Ralf Bode, herausgegeben von GWÖ Verein BW, 146 S., EUR 16,– plus Versandkosten, Selbstverlag, Stuttgart 2018, www.koenig-kunde-kurzgeschichten.de

Buchbestellungen: info@koenig-kunde-kurzgeschichten.de