Helfen statt hochrüsten

Henning Köhler

»Viele Familien dürfen nicht selbst kochen, wegen Brandgefahr. Die Luft ist schlecht und verbraucht. Geduscht wird in Gemeinschaftsduschen. Ärzte weigern sich, die Geflüchteten zu behandeln. Viele sind traumatisiert, Frauen, Kinder, Männer, ganze Familien. Keiner hat Zeit für sie, keiner hat Zeit für ein Gespräch. Die Wartezeiten für einen Platz in der Schule, im Kindergarten sind ewig lang. Die Kinder sitzen in den Einrichtungen rum, lernen nichts und warten sehnsüchtig. Und dann heißt es: Die sollen doch froh sein, dass sie hier sind, zufrieden mit dem, was sie kriegen, denen geht es doch gut genug, besser als daheim. Natürlich stimmt das. Aber wir müssen doch Maßstäbe anlegen, die wir für Menschen haben, nicht für Flüchtlinge. Das sind nämlich auch Menschen.«

Das sind Auszüge aus einem Bericht der Studentin Anna Platzer (24), veröffentlicht in dem Wochenmagazin kontext. Platzer und einige ihrer Kommilitonen des Studiengangs Soziale Arbeit in Esslingen absolvierten ein Praxissemester in deutschen Flüchtlingsunterkünften und waren schockiert.

Die Studenten wandten sich an den Baden-Württem­bergischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und stellten eine Petition ins Netz. Bis jetzt (22.9.2016) haben nur 583 Menschen unterschrieben! Das ist erbärmlich!

Länder, die weitaus ärmer sind als Deutschland, haben in der Tat eine wahre Flüchtlings-»Flut« – darunter 28 Millionen Kinder, viele davon unbegleitet – zu bewältigen. Bei uns, wo vergleichsweise nur ein Rinnsal ankommt, verspielte die Bundeskanzlerin ihr Ansehen, weil sie der Hoffnung Ausdruck gab, das könnte zu schaffen sein. Es ist allerdings wirklich schwer vorstellbar, wie wir das schaffen sollen, solange, auch bei Frau Merkel, der politische Wille dazu fehlt.

»Hochrüsten statt helfen« titelte am 9. September die Tages­­zeitung junge Welt. Mitten in der Flüchtlingsdebatte wurde beschlossen, 2017 den Wehretat um mehr als 2 Milliarden Euro zu erhöhen, gegenfinanziert durch Kürzungen bei humanitärer Hilfe und Krisenprävention. Sähen Sie Ihre Steuern nicht auch lieber dafür verwendet, wenigstens menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte bereitzustellen und vor allem die vielen Kinder gut zu ver­sorgen?

Jetzt bin ich mal gespannt. Da engagieren sich junge Menschen auf vorbildliche Weise. Zigtausende lesen die Erziehungs­­kunst, einige auch meine Kolumne. Das müsste doch der Petition einen kräftigen Schub geben!

Noch etwas: Im Dezember 2013 rief ich zu einem jährlichen »Tag des Asyls« an allen Waldorfschulen auf. Keine Resonanz. Wäre es nach allem, was seither geschehen ist, nicht an der Zeit, noch einmal zu überlegen, ob der Vorschlag vielleicht doch nicht so abwegig war?