Kinderfreunde aller Länder vereinigt euch

Henning Köhler

Ob absichtlich oder zufällig zwei direkt aufeinander folgende Tage bestimmt wurden, um an den Weltfrieden und an das Wohlergehen der Kinder zu gemahnen, sei dahingestellt, Sinn ergibt es allemal. Die Friedensfrage und die Kindheitsfrage sind unauflöslich verknüpft. Wer Kinder liebt, müsste eigentlich Pazifist sein. Oder wenigstens mit Pazifisten sympathisieren. Das Recht der Kinder, in einer Welt ohne Krieg aufzuwachsen, ist unverhandelbar, oder?

Sicher, Pazifisten sind extrem unrealistische Leute. Aber man sieht ja, was die Realisten anrichten. Überall wird tadellos realistisch aufgerüstet, und Aufrüstung ist Kriegsvorbereitung, wie man es auch dreht und wendet.

Man mag das Wort »Realpolitik« gar nicht mehr hören. Selten ist etwas Gutes damit gemeint. Beispiel gefällig? Deutsche Rüstungskonzerne machen glänzende Geschäfte mit Saudi-Arabien und leisten somit Beihilfe zum Tod tausender jemenitischer Kinder. Die Bundesregierung lässt es zu. Realpolitik. »Krieg beginnt vor unserer Haustür«, sagte dazu am Weltfriedenstag Jörg Meyrink, Sprecher des Bündnisses »Block war«. Auch beim türkischen Überfall auf kurdische Gebiete rollten deutsche Panzer. Niemand hat gezählt, wie viele Kinder dabei starben.

Ich bin 67 Jahre alt. Mein bescheidenes Engagement für den Frieden reicht fast 50 Jahre zurück. In diesem Zeitraum hat sich vieles geändert, und längst nicht alles zum Guten. Am meisten betrübt mich, dass die Friedensbewegung in der Bedeutungslosigkeit versunken ist (oder von Kräften gekapert wurde, denen es bei Gott nicht um Frieden geht). Was Not tut, ist eine neue, beherzt unrealistische Friedensbewegung mit dem Schwerpunkt Kinderrechte und Kinderschutz. Die Losung könnte lauten: Kinderfreunde aller Länder, vereinigt euch! Entzieht Politikern, die nicht für Abrüstung und Frieden eintreten, das Mandat! Und als Zusatz: Kinder haben keine Nationalität. Alle Kinder sind Kinder der Menschheit. Die Verantwortung für leidende Kinder – wenigstens für sie – ist grenzenlos.

Am 19. September, zwei Tage vor dem Weltkindertag, veröffentlichte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen eine Pressemitteilung über das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Auszug: »Viele Kinder, die bereits Traumatisches erlebten, werden in Moria erneut traumatisiert. Immer mehr Minderjährige leiden unter Panikattacken, Selbstmordgedanken oder haben bereits Selbstmordversuche unternommen.« Von »unmenschlichen Bedingungen« spricht die dort tätige Psychologin Giovanna Bonvini. 9.000 Menschen sind in dem Lager zusammengepfercht, davon 3.000 Kinder, größtenteils Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten. Ein Ergebnis des EU-Türkei-Deals. Hierzulande und überall in Europa aber geht die Hetze gegen Asylsuchende munter weiter.

Ach, übrigens: Ich plädierte unlängst dafür, an Waldorfschulen jährlich einen Tag des Asyls einzurichten. Für die Oberstufenschüler. Null Reaktion.