Über die Freiheit (1)

Henning Köhler

Hier geht es offensichtlich um etwas anderes als den oft mit Freiheit verwechselten Habitus der Verneinung aller echten Bindungen und Zuständigkeiten, welcher im Grunde genommen den Wunsch ausdrückt, die Inkarnation rückgängig zu machen. Jeder kennt solche Anwandlungen. Sie sind an sich nicht falsch, müssen aber im Hintergrund bleiben. Sonst werden wir krank.

Wer alle Festlegungen meiden will, lebt in ständiger Angst, sein Handeln könne Konsequenzen nach sich ziehen, denen er nicht entkommt. Ein qualvoller Zustand. In der Verneinung jeglichen Müssens lebt die Sehnsucht, »über allem zu schweben«, doch »ein freies Wesen kann der Mensch nur auf der Erde werden« (Rudolf Steiner): Indem er sich einlässt auf die Erdenverhältnisse, ohne unter ihre Knechtschaft zu geraten. Freiheit lebt in der herzhaften Bejahung des eigenen Tuns. Die Urszene ist das kindliche Spiel. Verlieren Kinder ihre Spielfreude, entwickeln sie auch den Hang, allen Verbindlichkeiten auszuweichen (man achte einmal darauf), und sehnen sich zurück in den Himmel.

Es gibt keinen Freiheitsstatus, sondern nur Freiheitsakte: Tätigkeiten, Gesten, Haltungen – auch Zurück-Haltungen –, die von einem Freiheitserlebnis begleitet sind. Letzteres stellt sich erfahrungsgemäß ein, wenn jemand für sein Handeln oder Verhalten keinen anderen maßgeblichen Grund kennt als den, dass es ihm, unabhängig von Nutzerwägungen, Zielvorgaben oder dem Urteil anderer, zutiefst stimmig, authentisch, situationsgemäß erscheint.

Um zu verstehen, dass Freiheit ihrem Wesen nach Tun ist, muss der Tatbegriff nur weit genug gefasst werden. Auch Gedanken sind Taten. Nichthandeln kann geradezu ein inneres Musizieren sein. »Handeln-ohne-Handeln transformiert sich in Entwicklungsfähigkeit«, schreibt François Jullien. Aufmerksamkeit ist Aktivität, wie jeder weiß. »Zurückhaltung üben« verlangt, wie das Wort »üben« schon sagt, Willensbetätigung. In-Bereitschaft-Sein ist ein Zustand, der freiwillig herbeigeführt wird. Sonst wäre es Ausgeliefert­sein.

Im Freiheitselement erhebt sich der Mensch als geistige Individualität. Hier urständet auch die Liebekraft. Das gilt schon für Kinder. Darüber sprach Steiner oft und eindringlich.

Fortsetzung im nächsten Heft.