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Waldorfschule – Integrativ, aber nicht inklusiv

B. M.

Wir kannten den reformpädagogischen Hintergrund der Waldorfschulen durch die Diplomarbeit meines Mannes zu diesem Thema und ich hatte ein Jahr lang einen Lesekreis zu den verschriftlichten Vorträgen Rudolf Steiners mit anschließenden Diskussionsrunden besucht, bevor wir unser ältestes Kind an einer Waldorfschule angemeldet haben.

Die Elternschaft bildet nicht die Bevölkerung unserer Stadt ab

Wir leben in einer multikulturellen Stadt mit vielen Ethnien und Religionsgemeinschaften und unterschiedlichsten sozialen Schichten. Die Elternschaft unserer Schule ist dagegen zum großen Teil homogen deutsch-weiß aus der Mittel- und Oberschicht. Ich als PoC-Frau (People of Colour) fühle mich häufig als anders wahrgenommen und unter einem unausgesprochenen Druck, mich beweisen zu müssen.

Deutsche Märchen

Die in der Schule gelesenen Märchen sind entweder von den Brüdern Grimm oder anderen mitteleuropäischen Erzähler:innen. Die darin vorkommenden Held:innen haben deutsche Namen und sind weiß. Kinder brauchen (Vor-)Bilder und Held:innen, die wie sie aussehen, heißen und reden. Ein PoC-Kind mit einem nicht autochthon deutsch klingenden Namen wird sich automatisch ausgeschlossen fühlen. Als einfache Lösung böte sich hier die Integration internationaler Märchen in den Schulplan. Es gibt wundervolle Märchen etwa aus China, Afrika sowie von den indigenen Völkern.

Die Waldorfschule ist integrativ, aber nicht inklusiv

An unserer Schule werden nur die christlichen Feste und Rituale begangen. Andere religiöse oder kulturelle Feste und Rituale werden weder gefeiert noch standardmäßig während des Unterrichts wiederkehrend thematisiert. Wenn derartiges stattfindet, dann sind es Initiativen einzelner Lehrkräfte. Auf Schul- und Lehrplanebene ist dies weder vorgesehen noch gefördert. Durch die Vielfalt der Menschen unserer Stadt wird das an vielen anderen Schulen jedoch sehr viel offener und wertschätzender gehandhabt. Das wünsche ich mir auch für unsere Schule.

Zugang zur Waldorfpädagogik ohne christliche Religion nicht möglich

Mein größter Kritikpunkt ist die Pflicht für den Religionsunterricht. Mir ist bewusst, dass die christliche Religion gemäß Rudolf Steiner ein elementarer Teil der Waldorfpädagogik ist. Deshalb findet auch im Unterricht viel religiöser Input statt, so zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte während der dritten Klasse. Als Nicht-Christin stößt es mir jedoch sauer auf, dass an der Schule zusätzlich verpflichtend christlicher Religionsunterricht stattfindet und das mit der Begründung, die deutsche Gesellschaft sei «mehrheitlich christlich». Muslim:innen, Jüd:innen, Sikh, Hindus und alle anderen Mitglieder unterschiedlicher Religionsgemeinschaften haben sich dann eben zu fügen. Für mich ist das ausschließend und die verwendete Sprache höchst problematisch.

Warum ist die Ausgestaltung des Religionsunterrichts zur Vermittlung universell gültiger Werte am Beispiel des Ethikunterrichts nicht möglich und warum muss man sich zwangsweise an sehr konkreten christlichen Bildern, Geschichten, Sagen und Legenden orientieren? Im Vergleich dazu gestaltet die Religionslehrerin meines mittleren Kindes an einer privaten evangelischen Schule den Religionsunterricht eher ethisch, da ihr bewusst sei, «dass nicht alle Eltern Christ:innen sind und es muslimische und hinduistische Kinder in der Klasse gibt». Diese Offenheit und inklusive Sprache wünsche ich mir auch für die Waldorfschule.

Im Übrigen wurde ich, da ich sichtbar einer anderen Religion als dem Christentum angehöre, bereits mehrfach gefragt, ob mir bewusst sei, dass die Waldorfschule eine christliche Schule sei. Die explizite Botschaft dieser Frage ist: Nur Menschen christlichen Glaubens schicken ihre Kinder an die Waldorfschule. Unabhängig davon, dass ich diese Frage als diskriminierend empfinde, sollte diese Haltung dringend einer inklusiven, weltoffenen und wertschätzenden Haltung weichen, damit möglichst schnell der Zugang aller Menschen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, zur Waldorfpädagogik geschaffen werden kann.

B. M. ist eine deutsche Mutter mit Migrationshintergrund und Akademikerin. Mit ihren drei Kindern und Ehemann lebt sie in einer großen Stadt in der Mitte Deutschlands.

Kommentare

Tom Blume,

Da stimme ich der Autorin in jedem ihrer genannten Punkte und auch ihrer Wünsche zu. Es handelt sich hier auch nicht um ein Problem der Waldorfpädagogik prinzipiell, sondern eher darum, wie diese in Deutschland oft verstanden wird. Denn die Waldorfschulen gibt es ja in allen Erdteilen auch in Ländern, in denen nicht das Christentum die vorherrschende Religion ist. Außerhalb Deutschlands und besonders auch außerhalb Europas gelingt es den Waldorfschulen ein bisschen besser als bei uns, die religiöse und die alltägliche Vielfalt der Welt in das Schulleben zu integrieren. Das scheint mir wesentlich gerade für Waldorfschulen und sollte uns in Zukunft hier doch auch möglich sein!:-)

J C,

Danke für diesen Beitrag! Das geht mir an einer süddeutschen Waldorfschule ganz genauso (abgesehen davon, dass ich keiner Religion zugehörig bin). Einige Male ist das Thema bereits aufgebracht worden, aber das Problembewusstsein scheint nicht ausreichend, um daran zu rütteln. Was jedoch rüttelt, ist der Lehrerinnenmangel, der vielleicht/hoffentlich in Zukunft zu mehr personeller und damit inhaltlicher Diversität führt.

Einen ähnlichen Schmerz habe ich übrigens auch mit dem unumstößlichen Weitertransport klassischer Rollenbilder, deren Wirkung jenseits 100 Jahre alter Steiner-Erklärung von der sonst so hinterfragenden Anthroposophie so gar nicht hinterfragt wird.

Ist es nur naive Projektion gewesen, sich an einer Waldorfschule den Blick über den sehr kleinen Tellerrand unserer Zeit und Kultur hinaus zu erhoffen? (Und, ja - Ausnahmen bestätigen die Regel.)

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