Was mit dieser Entscheidung begann und auf etwa 150 Seiten von ihr geschildert wird, ist ein ganz anderer Blick auf die deutsche Kultur, als der, den wir hier Aufgewachsenen unhinterfragt als »normal« empfinden. Insofern ist es auch eine Beschreibung, die nicht nur für junge Erwachsene, sondern auch für Oberstufenschüler ein wichtiger Gesprächsanlass werden kann. Einfühlsam, humorvoll und mit einer fein nuancierten Sprache beschreibt sie verschiedene Erlebnisse in dieser für sie neuen Kultur. Die Ordnungsliebe der Deutschen, die Regelungen im Straßenverkehr, die Kompliziertheit von Verabredungen, die Feste und Besuchsgewohnheiten, um nur einige der Situationen zu nennen, die im Unterricht als Gesprächsstoff dienen können. Viel stärker kommt es ihr aber vor allem auf die Situationen an, in denen sie die Unbedachtheit der Einheimischen im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen beschreibt. Immer wieder kann man lesend erleben, wie leicht andere bereits durch die Wortwahl ausgegrenzt werden. Insbesondere sind es oft die ersten, klischeebehafteten Fragen, die andere vor den Kopf stoßen, auch wenn sie wahrscheinlich gar nicht so gemeint sind. Die Autorin schafft es, diese Situationen so einfühlsam zu schildern, dass man in jeder Zeile die ihr im Herzen wohnende Menschlichkeit als das oberste Anliegen erleben kann. Das, was sie sich von anderen wünscht, scheint sie zur Verfügung zu haben: sie verurteilt niemanden wegen seines Verhaltens, sondern sucht immer nach dem Verständnis dafür.
Schon nach einem halben Jahr in Deutschland lernt sie über eine Sprachpartnerschaft ihren späteren Mann Roland Kampffmeyer kennen. Er beschreibt im mittleren Teil des Buches seine Erfahrungen bei einer dreiwöchigen Reise durch das Heimatland seiner Frau. In diesen Kapiteln lernen wir einen unglaublich einfühlsamen Mann kennen, der Nooshin Shahin ihren Weg in die deutsche Kultur auf vielfältige Weise erleichtert hat und durch seine ehrliche und offene Art im besten Sinne das verkörpert, was ich mir unter einem weltoffenen und menschenliebenden Zeitgenossen vorstelle. Auch diese Kapitel können als Gesprächsstoff im Unterricht dienen, denn auch sie zeigen, wie Vorurteile eine tiefe Begegnung von Menschen erschweren. Jugendliche stoßen sich häufig an den Gewohnheiten ihrer Eltern und lehnen sich zu Recht gegen die überalterten (teilweise religiösen) Konventionen auf. Durch Reflektion und das Gespräch kann jeder Einzelne seine eigenen Beschränkungen erkennen und sich bemühen, diese zu überwinden.
Nooshin Shahin & Roland Kampffmeyer: Deutsch-Sein ist Fleißarbeit. Im Land der langen Wörter, Softcover, 156 S., EUR 11,95, Romeon Verlag, Jüchen 2021