Quereinstieg geht meistens

Erziehungskunst: Welche fachlichen Voraussetzungen muss ein Quereinsteiger in den Waldorflehrerberuf erfüllen? Die Bundesländer stellen unterschiedliche Anforderungen.

Alexander Schupp: Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, wer Lehrer an einer freien Schule werden kann, ist immer Art. 7 Abs. 4 Grundgesetz, in dem es in Bezug auf die Lehrerausbildung heißt, dass »die wissenschaftliche Ausbildung der Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen darf«. Wird dies erfüllt, muss der Staat die Lehrkraft genehmigen. Der Staat hat hier also keinen Ermessensspielraum, insbesondere können die Länder, die eigentlich die Bildungshoheit haben, diese Regelung nicht einschränken, sondern dürfen sie nur konkretisieren, wovon einige sehr umfassend – und verfassungsrechtlich teilweise nicht unbedenklich – Gebrauch machen.

Die Formulierung »nicht zurückstehen« bedeutet nicht Gleichartigkeit, sondern Gleichwertigkeit, das heißt, die Ausbildung muss nicht identisch mit dem Lehramtsstudium sein. Gleichwertig ist eine Ausbildung dann, wenn sie der staatlichen Ausbildung im Niveau gleichkommt, das heißt, es dürfen nicht dieselben Inhalte wie im Lehramtsstudium gefordert, sondern es darf nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur geprüft werden, ob die Zugangsvoraussetzungen, Dauer der Ausbildung, Umfang der zeitlichen Beanspruchung während der Ausbildung und Prüfungsanforderungen der staatlichen Lehrerausbildung entsprechen.

Das bedeutet, dass ein Fachlehrer grundsätzlich das von ihm zu unterrichtende Fach an einer Universität studiert haben sollte, wobei ein Diplomabschluss, ein Magister und ein Master mit dem ersten Staatsexamen für die Sekundarstufe II als gleichwertig angesehen wird.

Allerdings gibt es immer wieder auch untypische Ausbildungswege, bei denen eine Gleichwertigkeit der Ausbildung auch ohne Universitätsabschluss in einem bestimmten Schulfach möglich ist, zum Beispiel im Fall eines fachnahen Studiums, in welchem unterrichtsrelevante Inhalte Gegenstand der Ausbildung waren und danach noch fortbildende Fachkurse belegt werden. Gleiches gilt für die Promotion in einem unterrichtsrelevanten Fach. Auch Berufserfahrung kann bei der Frage der Ausbildung eine Rolle spielen, denn das Grundgesetz fragt nicht nach formellen Qualifikationen, sondern nach gleicher Eignung. Daher ist in vielen Bundesländern geregelt, dass auch sogenannte »freie Leistungen« bei der Frage der Gleichwertigkeit der Ausbildung berücksichtigt werden können, ja sogar müssen. Nicht immer kommt es daher auf den spezifischen Abschluss oder den Nachweis bestimmter Prüfungen an.

Ausnahmen gelten auch für praktische und künstlerische Fächer, die waldorfspezifisch sind, wie beispielsweise Werken, Handarbeit, Gartenbau oder Eurythmie, wo eine entsprechende Fachausbildung vorliegen muss.

Die pädagogische Ausbildung kann in den Waldorflehrerseminaren und ergänzend in den Schulen geschehen, ein staatliches Referendariat ist rechtlich nicht notwendig.

Zur Genehmigungssituation bei den waldorfspezifischen Fächern möchte ich noch etwas anmerken: Nach dem Grundgesetz dürfte bei den waldorfspezifischen Fächern eine Unterrichtsgenehmigung gar nicht versagt werden. Denn zu diesen gibt es an öffentlichen Schulen kein vergleichbares Fach, anhand dessen die Gleichwertigkeit geprüft werden könnte. Es fehlt also der Vergleichsmaßstab, der zwingend die Grundlage für die Versagung einer Unterrichtsgenehmigung sein muss. Sie wäre in diesem Fall also ein gesetzlich nicht gedeckter Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit des Lehrers, was man auch deutlich kommunizieren sollte, wenn es bei einer Genehmigung Schwierigkeiten gibt.

EK: Macht es dabei einen Unterschied, ob man an einer Waldorfschule als Klassenlehrer, Fachlehrer oder Oberstufenlehrer tätig ist, so dass zum Beispiel ein Gärtner als Fachlehrer arbeiten kann, aber für einen Oberstufenlehrer in einem prüfungsrelevanten Fach ein Studium obligatorisch ist, während eine Fremdsprachenkorrespondentin ohne Weiteres in der Unter- und Mittelstufe unterrichten könnte? Und abgesehen davon: Braucht es in jedem Fall eine waldorfspezifische Zusatzausbildung?

AS: Es ist richtig, dass es zum einen an Waldorfschulen andere Fächer gibt als an staatlichen, was sich, wie bereits beschrieben, auch auf die Ausbildungs­voraussetzungen auswirkt. Zum anderen weicht insbesondere die Konzeption des Klassenlehrers für die Klassen 1–8 an Waldorfschulen vom staatlichen Schulsystem ab, da der Klassenlehrer ja praktisch »alles« können muss: Er unterrichtet Mathematik, Deutsch, Geschichte, Biologie, Physik, Chemie und viele weitere Fächer. Außerdem soll er künstlerische und musische Fähigkeiten haben und diese weitervermitteln können. Hierfür bedarf es natürlich einer anderen Ausbildung als beim Fachlehrer, insbesondere ab der 9. Klasse, wenn die »Fachlichkeit« stärker im Vordergrund steht als in den Jahren davor. Hier unterrichten dann Oberstufenlehrer, die ihre fachliche Qualifikation in der Regel durch ein abgeschlossenes Hochschulstudium erworben haben.

Die Klassenlehrerausbildung muss also noch ganz andere Inhalte aufweisen, als reine Fachstudien sie bieten können. Daher wird die Waldorfklassenlehrerausbildung in speziell darauf ausgerichteten grundständigen Studien- und Ausbildungsgängen an Freien Hochschulen mit Bachelor- und Masterabschluss und an Waldorflehrerseminaren angeboten, die staatlich anerkannt sind. Bei Interessenten mit abgeschlossenem Studium oder einer anderen ausreichenden Vorqualifikation genügt eine Zusatzausbildung von ein bis zwei Jahren, die teilweise auch berufsbegleitend absolviert werden kann.

Auch Gärtner können Waldorflehrer werden, nämlich – nach waldorfpädagogischer Zusatzausbildung – Fachlehrer für Gartenbau.

Ihr Beispiel der Fremdsprachenkorrespondentin führt zu der Frage, ob die dafür notwendige Ausbildung einem universitären Sprachstudium gleichgestellt werden kann, was bei Berücksichtigung von mehrjähriger Berufspraxis häufig der Fall sein wird. Trifft dies zu, kann sie auch mit entsprechender pädagogischer Fortbildung das gelernte Fach unterrichten.

Dies steht auch so in vielen internen Vorgaben von Schulbehörden, wonach die Ausbildung und Praxis von Fremdsprachenkorrespondenten, Dolmetschern oder Übersetzern als gleichwertig anerkannt werden.

Eine waldorfpädagogische Zusatzausbildung wird von jedem Lehrer verlangt. Fachlehrer absolvieren diese häufig berufsbegleitend.

EK: Wie kann ich, wenn ich Waldorflehrer werden möchte, erfahren, ob ich die Voraussetzungen für den Quereinstieg erfülle?

AS: Hierfür hat der Bund der Freien Waldorfschulen eine zentrale Beratungsstelle eingerichtet, die unter der Mailadresse genehmigung@waldorfschule.de erreicht werden kann. Hier wird jeder Interessent individuell auf seine Situation hin und die Rechtslage in dem von ihm bevorzugten Bundesland beraten, ob ein Quereinstieg möglich und was dafür noch zu tun ist. Damit die Stelle schnell und zielgerichtet beraten kann, empfehle ich, der Mail im Anhang einen Lebenslauf beizufügen. Dieser sollte Angaben zum Schulabschluss, den angefangenen und abgeschlossenen Ausbildungen und den praktischen und auch beruflichen Tätigkeiten enthalten. Außerdem sollten Bewerber angeben, in welchem Bundesland oder in welchen Bundesländern sie gerne unterrichten würden.

EK: Müssen die Schulen in freier Trägerschaft in jedem Fall eine Unterrichtsgenehmigung für jeden Quereinsteiger von der staatlichen Schulaufsicht einholen?

AS: Das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Einige Bundesländer gehen davon aus, dass Waldorfschulen in der Lage sind, die Eignung ihrer Lehrer selbst zu erkennen. Sie verlangen lediglich die Mitteilung über Einstellungen, mit der Möglichkeit, notfalls einzuschreiten, wenn eine Schule die in sie gesetzte Beurteilungskompetenz nicht rechtfertigt. In anderen Bundesländern glaubt man weiterhin daran, dass allein der Staat in der Lage sei, die Qualität von Lehrern auch an Waldorfschulen zu beurteilen, weshalb das Landesrecht eine Genehmigungspflicht vorsieht. Statistisch lässt sich jedoch nicht belegen, dass weniger staatliche Kontrolle sich negativ auf die Qualität des Unterrichts an Waldorfschulen auswirkt. Deshalb tritt der Bund der Freien Waldorfschulen dafür ein, den genehmigten Schulen hier generell das Recht zuzuerkennen, die Fähigkeiten der Bewerber für eine Lehrtätigkeit an Waldorfschulen selbst zu beurteilen.

EK: Wie sehen Sie die Unterschiede in den Bundesländern? Gibt es bei der Ausbildung einen »kleinsten gemeinsamen Nenner«, der in allen Bundesländern zur Lehrberechtigung an Waldorfschulen führt?

AS: Der kleinste gemeinsame Nenner ist zugleich der größte: In jedem Fall muss die Eignung für das zu unterrichtende Fach anhand der Frage der Gleichwertigkeit beurteilt werden. Ob hierzu ein Studium mit ein oder zwei Fächern, ein Master, ein Magister oder ein Diplom vorliegt, ist in keinem Bundesland erheblich. Unterschiede bestehen bei der Frage, wie das Gleichwertigkeitskriterium auszulegen ist, wenn die Ausbildung nicht oder nur teilweise universitär absolviert wurde oder ab wann ein Studium als hinreichend fachnah bezeichnet werden kann. Diese Frage stellt sich jedoch meist nicht auf der Ebene des Bundeslandes, sondern auf Behördenebene, wobei die Ergebnisse wiederum stark mit der Erfahrung, Kompetenz und der persönlichen Einstellung der damit befassten Beamten zusammenhängen. Glücklicherweise ist der Rechtsweg wegen nicht erteilter Unterrichtsgenehmigungen nur selten notwendig, da die Zusammenarbeit mit den Behörden meist konstruktiv und von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist.

Ein Vorbereitungsdienst ähnlich dem Referendariat ist rechtlich nicht erforderlich. Die pädagogische Eignung wird in der Regel durch die pädagogische Ausbildung in einem Waldorflehrer-­seminar und Ausbildungszeiten in der Praxis erreicht, so dass es dennoch eine dem Referendariat vergleichbare Vorlaufzeit gibt, bis ein Waldorflehrer als nicht mehr in Ausbildung befindlich eingestellt wird.

EK: Schöpfen die Waldorfschulen Ihrer Erfahrung nach ihre Freiheitrechte nicht nur in puncto Lehrergenehmigungsfragen, sondern generell genügend aus?

AS: Auch hier ist eine pauschale Antwort nicht möglich, da dies – je nachdem, welches Freiheitrecht und welche Schule gemeint ist – ganz unterschiedlich ist. Das Grundgesetz sieht vor, dass der Staat verpflichtet ist, die Vielfalt im Schulwesen zu fördern. Wo er das nicht tut, indem er versucht, durch die Ausgestaltung der staatlichen Abschlüsse, die Bedingungen für die Finanzhilfe oder die Schulaufsicht in Lehrmethoden und Lehrinhalte der Waldorfschulen einzugreifen, ist es Aufgabe der Schulen und ihrer Vertreter – wozu natürlich auch der Bund der Freien Waldorfschulen und dessen Organe gehören –, dem entgegenzuwirken. An dieser Stelle wachsam zu bleiben, halte ich für eine der großen Zukunftsaufgaben der Waldorfschulen.

Die Fragen stellte Mathias Maurer