Lernen auf »Afrikanisch«

Juliana Hepp

Kinder wachsen in Afrika traditionell in erweiterten Familien auf. Das ganze Dorf begleitet die Kleinen. Sie müssen sich nie alleine fühlen oder keine Angst haben, es gibt immer jemanden der einem etwas beibringen kann. Heute leben viele Kinder immer noch in diesen Großfamilien, aber die zunehmende Urbanisierung zerstört langsam auch diesen Teil der afrikanischen Kultur.

Vor weniger als hundert Jahren kamen viele Europäer und Missionare nach Ostafrika. Mit ihnen kamen der Stock und die ersten Schulen, die intellektuelle Fähigkeiten vermitteln wollten. Lesen, Schreiben, Rechnen. Seit ein paar Jahren ist der Stock als Unterrichtsmethode in Tansania per Gesetz verboten, praktisch findet er in den meisten Schulen noch Anwendung. Das Sprichwort »Afrikanische Kinder lernen nur mit dem Allerwertesten« und zwar nur, wenn kräftig ein Stock angesaust kommt, steckt unglaublich tief in den Erziehungsvorstellungen der Lehrer, Eltern und auch der Kinder.

An meinem ersten Schultag in einer kleinen Schule in Tansania durfte ich beim Mathematiklehrer in der fünften Klasse zuschauen. Er hatte den Schülern am Vortag fünfzehn Aufgaben gegeben und diese korrigiert. Er fragte die Kinder, was für einen Durchschnitt sie meinten, erreicht zu haben. Man einigte sich auf dreizehn Richtige. Dann ging es los. Jede falsche Antwort unter dreizehn wurde mit einem Schlag auf die Hand mit einem kleinen fingerdicken Stock vergolten. Einem Schüler nach dem anderen. Meine erste Reaktion war, ihm in die Arme zu fallen, zu schreien: »Was soll das, aufhören!« Doch als Neuling glaubte ich, kein Recht zu haben, seine Autorität zu untergraben. Und vor allem: Würde es etwas nutzen?

Ich bin einfach aus dem Zimmer gegangen. Ich war fix und fertig. Erst vier Tage später habe ich mich getraut, den Lehrer anzusprechen. Überraschenderweise war er sehr offen und wollte von mir wissen, was es für andere Methoden gibt. Zwei Wochen später gab es ein Seminar für die ganze Schule. Wir sprachen über Alternativen des »stickings«. Dass es Schulen geben könnte, an denen überhaupt keine Bestrafung stattfindet, wo Kinder aus Interesse lernen, ist ein Gedanke, der noch in so weiter Ferne liegt, dass es niemand wirklich versteht, wenn man darüber spricht. In diesem Fall hilft nur tun, Beispiel sein und hoffen.

Eines hat mich sehr berührt: Während des Seminars sagte der Mathematiklehrer von sich aus vor allen anderen: »Ich habe Mathematik vom Kindergarten bis in die Universität mit dem Stock gelernt. Ich kenne keine andere Unterrichtsmethode außer dem Stock, könnt ihr mir einen Rat geben?« 

Aus: menschenbilder. 20 Portraits junger ›Aktivisten‹ www.projektzeitung.org