»Lernwerkstatt Englisch« in Klasse 7 und 8

Brigitte Pietschmann

Auf dem Weg zum besseren Lesen

Ein Schwerpunkt im Unterricht ist es, das Vorlesen zu üben. Wie langweilig kann das sein! Anders ist das im folgenden Training, in dem alle Kapitel eines Buches mit Variationen erarbeitet werden:

Zunächst erkläre ich neue Vokabeln aus dem folgenden Kapitel an der Tafel auf Englisch. Die Schüler erraten ihre Bedeutung und tragen sie ins Vokabelheft zum Lernen ein. Dann sitzen alle Schüler im Halbkreis und hören zu, wie ich die Geschichte frei erzähle. Oft haben sie vorher einen Fokus ausgewählt und achten auf die Details, die sie zu einer bestimmten Person erfahren. Anschließend fügen sie alles Erfasste in ihrer Kleingruppe wie ein Puzzle zusammen. Jetzt werden verschiedene Wort-Suchaufgaben gestellt, um mit dem gedruckten Text vertraut zu werden. Der nächste Schritt ist, dass ich den Text vorlese und die Schüler dabei die Atemzeichen eintragen, das heißt, sie markieren die Sinnabschnitte.

In der folgenden Trainingsphase lesen die Schüler gleichzeitig wispernd vor sich hin und versuchen, Atemzeichen und Aussprache zu beachten.

Dann verabreden die Schüler in ihren festen Lerngruppen mit jeweils vier Kindern, wie sie sich den Text zum Vorlesen aufteilen. In jeder folgenden Stunde gibt es ein paar Minuten, um in den Gruppen zu üben.

Pro Stunde haben wir schließlich die Präsentation einer Gruppe. Die vier Schüler üben vor der Tür noch einmal zu Beginn des Unterrichts. Dann setzen sie sich vor ihre Mitschüler. Die Zuhörer verabreden in ihren Gruppen, wer von ihnen auf die Sprechmelodie achtet, wer auf die korrekte Aussprache. Alle haben Notizzettel vor sich. Das Vorlesen beginnt. – Am Ende bekommen die Vorleser ihren Applaus, den sie wirklich verdient haben. Die Zuhörer geben ihr Feedback und achten darauf, dass Verbesserungswürdiges nur einmal genannt wird.

Schüler, die beim Vorlesen durch Stocken oder falsch ausgesprochene Wörter auffallen, bekommen das klar und sachlich mitgeteilt. Gewöhnlich strengen sie sich beim nächsten Mal besonders an.

Beim Verteilen der Abschnitte beachten die Schüler zunehmend, dass ein »schwächerer« Leser nur einen kleineren, leichteren Teil bekommt und den wirklich gut liest. Sie nehmen Rücksicht, aber sie lernen auch, die Ressourcen »guter« Vorleser entsprechend zu nutzen.

Tests als Lernereignisse

Mir fiel auf, wie ich mein englisches Vokabular durch das Korrigieren von Tests festigte. »Verkehrte Welt!«, dachte ich, denn die Schüler sollten diese Wörter lernen, ich kannte sie schon. Ich schlug vor, dass wir von nun an die Tests in der Lerngruppe korrigieren. So geschieht das nun seit Jahren. Jeden Montag lasse ich einen Test schreiben, in dem die Schüler zeigen, was sie können, und nur das wird gezählt. Sie wissen, welche Aufgaben auf sie zukommen, meistens offene Aufgaben mit Wahlmöglichkeiten, manchmal auch gebundene wie ein Diktat, das die Schreiber allerdings korrigieren, bevor sie es abgeben. Auf den Test bereiten sich die Schüler zu Hause vor.

Ich kläre, wie die Schüler korrigieren, wo sie nachschlagen können, wofür man ein Häkchen bekommt.

Im Anschluss an den Test sammle ich die Blätter ein und verteile sie neu. Ein flinker Lerner bekommt viel Arbeit, das heißt, einen Test eines »schwächeren« Schülers und andersherum. Gewöhnlich setzt eine konzentrierte Phase des Vergleichens, Verbesserns und Häkchenmachens ein. Wenn die Tests zurückgegeben werden, dann oft mit Bemerkungen wie »Schreib schöner, ich konnte das kaum lesen.« Oder: »Du musst Deine Verben besser üben.« Solche »Appelle« von Mitschülern fruchten mehr, als wenn sie von mir kommen.

Die Schüler erleben den Sinn des Korrigierens. Zitate aus dem Lernstopp: »Wie kann ich durch Korrigieren fremder Tests meine Schreibfähigkeiten verbessern?« zeigen das: • Man lernt die Wörter inniger. •  Ich bilde mir die korrigierten Wörter ein, das heißt, ich mache mir ein Bild. •  Ich gucke immer genau. Schaue dabei in die Liste, das heißt, ins Vokabelheft oder in eine andere Vorlage. •  Ich lerne auch meine Fehler verbessern.

Tests, auf diese Art eingesetzt, ermöglichen den Schülern fachliches Lernen (Vokabeln, Grammatik), aber auch soziales Lernen in einem Sinnzusammenhang, den sie unmittelbar verstehen. Sie müssen sich einfühlen in die Arbeit eines Mitschülers, sie interessieren sich nicht nur für die eigene Leistung, die eigenen Fortschritte, sondern auch für die der Mitlernenden.

Manchmal stelle ich im Test Fragen wie diese: »Wie hast Du die Vokabeln gelernt? Erzähle!«

Die Schüler und Schülerinnen nehmen unterschiedliche Lerntechniken zur Kenntnis: »Ich habe mich einfach zu Hause hingesetzt und mir immer drei Vokabeln gemerkt, während ich das Heft zudeckte.« – »Kofferpacken gespielt!« – »Ich habe sie auf Vokabelkärtchen geschrieben, dann erst auf Deutsch, dann auf Englisch gelernt.«

Die Schüler haben ein Interesse daran, weiter zu kommen und zu zeigen, was sie können. Sie setzen ihre unterschiedlichen Fähigkeiten ein und organisieren sich. Sie entwickeln in unserer »Lernwerkstatt« bemerkenswert viel Initiative.

Zur Autorin:

Brigitte Pietschmann, Englischlehrerin an der Freien Waldorfschule Schwäbisch Hall und Begleiterin in der Schulentwicklung und bei Konflikten in Waldorfschulen und -kindergärten. Moderatorin von Lehrer- und Elternfortbildungen.