Die Fremdsprachen gehören auf den Prüfstand

Elke Hellstern

Unser jüngster Sohn ist seit Sommer 2010 auf der Waldorfschule, derzeit in Klasse 8. Er hat seit dreieinhalb Jahren Französischunterricht, davon zweieinhalb Jahre nach der Waldorfpädagogik. Da er vorher auf einer internationalen Schule im Ausland war, hat er in Englisch beinahe das Niveau eines »native speakers«, allerdings mit großen Lücken in Grammatik und Rechtschreibung. Unser älterer Sohn geht auf ein staatliches Gymnasium (Klasse 10), insofern habe ich eine gute Vergleichsmöglichkeit.

Mein Mann und ich arbeiten im internationalen Umfeld, wir halten die ausgezeichnete Beherrschung von Fremdsprachen in Wort und Schrift für außerordentlich wichtig in unserer globalisierten Welt.

Das Thema Fremdsprachenunterricht an der Waldorfschule beschäftigt mich sehr und der o.g. Artikel hat mich verärgert. Es sollte auf einer Weltlehrertagung für Fremdsprachen nicht darum gehen, Lehrer zu schulen, wie sie mit aufgebrachten Eltern argumentativ besser umgehen können, sondern wie der Sprachunterricht verbessert werden kann. Denn das ist nach unserer Erfahrung dringend notwendig.

Da ich – den Fremdsprachenunterricht ausgenommen – die Waldorfschule für eine gute Wahl halte, möchte ich gerne zur Diskussion über die Qualität und die Ergebnisse der Sprachpädagogik beitragen.

Die Formulierung – »Gleichzeitig beweisen Tausende von erfolgreichen Berufskarrieren den besonderen Erfolg der Waldorf-Fremdsprachenpädagogik« – halte ich für unehrlich und irreführend. Sicher gibt es viele glänzende Waldorf-Karrieren, auch auf internationalem Parkett, allerdings kann man diese Feststellung nicht auf die hohe Sprachkompetenz, erworben durch die Waldorf-Fremdsprachenpädagogik, zurückführen. Zum Glück spielen da noch andere Fähigkeiten eine Rolle. Mein Eindruck ist, dass vielmehr TROTZ der Waldorf-Pädagogik die meisten Schüler/Schulabgänger noch irgendwie die Sprache lernen, dass sie aber dennoch enorme Probleme haben, sie in Wort und Schrift korrekt zu nutzen. Oft kann nur durch gezielte und langjährige Nachhilfe und Auslandsaufenthalte wieder wettgemacht werden, was in den ersten Jahren versäumt wird.

Unser sprachbegabter jüngerer Sohn ist nach drei Jahren kaum in der Lage, einen korrekten Satz im Präsens in Französisch zu sprechen, geschweige denn in der verneinten Form. Bei allen anderen Zeiten ist er völlig verloren. Durch das unreflektierte Auswendiglernen ganzer Seiten mit verschiedenen Verbformen, die im Unterricht nicht zeitnah geübt werden, wird im Kopf alles durcheinander gewürfelt. Gleichzeitig bleibt das Lesen von zu komplexer Lektüre, die nur halb verstanden wird und nichts mit dem gerade geübten Grammatikstoff zu tun hat, wirkungslos. Die Hoffnung, dass irgendwann »ein Fenster aufgeht« und sich alles zusammenfügt, habe ich nicht. Der Aufbau des Sprachunterrichts erscheint chaotisch und hinterlässt meinen Sohn (und mich) ratlos. Eine (staatliche) Gymnasiallehrerin, die sich Gabriels Können anschaute, bescheinigte ihm den Stand nach einem Jahr Sprachunterricht an der Regelschule.

In Englisch hat er in den zweieinhalb Jahren nichts dazugelernt, sondern eher sein Können wieder verlernt, während sein älterer Bruder auf dem Gymnasium deutliche Fortschritte in Grammatik, Rechtschreibung und Ausdrucksfähigkeit gemacht hat.

Im Lernen aus selbstgeschriebenen Heften (mit vielen Fehlern) und hässlichen, schwarz-weiß kopierten Zetteln kann ich gegenüber den inzwischen wirklich hervorragend gemachten und jugendgemäßen Schulbüchern und Arbeitsheften der Regelschule keinen Vorteil sehen. Sind Kopien Bestandteil der Waldorfpädagogik? Wieso sind die besser, als durchstrukturierte interessante Schul- und Arbeitsbücher, in denen auch noch viel über Land und Leute gelernt wird? Das Schreiben der eigenen Bücher macht Sinn im Hauptunterricht, im Sprachunterricht halte ich es für kontraproduktiv, besonders für Jungs, die nicht immer die ordentlichsten Mitschreiber sind.

Vor kurzem half ich dem Sohn einer Freundin, eine Bewerbung auf Englisch zu schreiben, auch er Waldorfschüler mit ausgezeichnetem Abitur. Die schlechten Englischkenntnisse haben mich schockiert. Er hätte keine Chance, sich auf dieser Grundlage für eine qualifizierte Beschäftigung, auch nicht als Trainee, im internationalen Umfeld zu bewerben.

Ich finde, es ist an der Zeit, dass sich die Waldorfpädagogik ehrlich und unvoreingenommen mit ihrem Fremdsprachenunterricht beschäftigt und eine umfassende, wissenschaftlich objektive Evaluierung ihrer Ergebnisse und Methoden vornimmt. Ausgehen sollte dies von einer Überprüfung der Sprachkenntnisse der Waldorfschüler verschiedener Klassenstufen. Dabei sollte man diese undogmatisch mit der Regelschule und anderen Privatschulen vergleichen. Systematik und Methodik des Unterrichts, die Unterrichtsdidaktik und die Lernmaterialien gehören auf den Prüfstand.

Es wäre also schön, wenn es auf der Weltlehrertagung für Fremdsprachen in Dornach darum ginge, die kritischen Fragen der Eltern ernst zu nehmen. Dazu gehört, die Schwächen und Stärken der Waldorf-Fremdsprachpädagogik objektiv zu analysieren und Ansätze zu definieren, wie der Sprachunterricht verbessert werden kann.

Hierin läge eine große Chance für mehr Qualität, Motivation, Spaß und Erfolg im Fremdsprachenunterricht. Falls es bereits solche Bemühungen gibt, wäre ich dankbar für Informationen.

Dieser Leserbrief bezieht sich auf den Beitrag: »Endlich mal zur Sache kommen ...«

Eine Antwort auf ihn schreibt Siegmund Baldszun hier