Die Spaltung braucht Antworten

M. Cordes-Schmid

Wie viele (Waldorf)-Eltern sehe ich mit großer Sorge auf die zunehmende Polarisierung und Spaltung in unserer Gesellschaft. Wie wird sich das alles auf die seelisch geistige und körperliche Gesundheit unsere Kinder auswirken?

Auf der Suche nach Anworten fallen mir auch meine »polarisierenden« Erfahrungen als Waldorf-Vater ein.

Genauso wie ich in meiner Staatsschulzeit teilen meine beiden Kinder und, wen wundert´s,- auch die meisten meiner Miteltern unser Kollegium in »gute und schlechte« Lehrer ein. Ist dieses Phänomen einfach jedem »System Schule« immanent? Ist es Ausdruck einer »natürlichen« Aufspaltung der Seelenkräfte, wie sie z.B. der Pubertät zugeschrieben wird? Anders und unbequemer gefragt: sind das unbewußte Spiegelungsvorgänge von Bewertungen und Vorstellungen, die genauso innerhalb eines Lehrerkollegiums leben, im Sinne von »Was oben ist, ist unten«? 

In diesem Zusammenhang fällt mir die Zeit ein, in der meine Tochter zufrieden, voller Eindrücke und Elan aus der Schule kam; eine Zeit, in der ihre Klasse inklusiv mit 2 aktiven Lehrkräften in einem Klassenzimmer unterrichtet wurde. Teamteaching statt Frontalunterricht. Braucht die Generation der Patchwork-Kinder mittlerweile weniger »liebevolle Autorität« sondern mehr Dialog? – Die in der allgemeinen Schulpraxis längst überfällige, verbindliche Intervision unter KollegInnen würde sich erübrigen. 

Aber der »Doktor«?

Ich mutmaße, dass Rudolf Steiner der erste wäre, der auf den Zeitgeist reagieren und schon in den untersten Klassen Lehrer-Tandems einsetzen würde …

Als Visionär und kluger Stratege ersetzte er die »preussische« mit der »liebevollen« Autorität. Viele Menschen in Waldorfkreisen scheinen diese Kulturtat als »absolut« zu setzen (vielleicht weil sie innerlich im deutschen Idealismus hängen geblieben sind?). 

Oft werden Steiners Leistungen zu wenig im historischen Kontext gesehen, damit nur teilweise nachvollzogen und können dann nicht mehr in´s Heute übersetzt werden.

Überhaupt: die Geschichte der Waldorfbewegung und ihre Selbstaktualisierung weltweit. Wäre das einmal ein spannendes Thema für die »Erziehungskunst«? 

Mit Debatten, die die verschiedenen Strömungen der Erneuerer und Bewahrer innerhalb der Waldorfbewegung sichtbar machen und deren gemeinsames Ringen um Zukunftsfragen unter einem Dach. Ähnlich wie es die Grünen seinerzeit in den Auseinandersetzungen der »Fundis und Realos« praktiziert haben. Transparente Einsichten in waldorfinterne Richtungsdebatten wären eine konsequente Antwort auf Polarisierung und die Verrohung der Streitkultur. 

Eine weiterer Baustelle im Sinne von unerlöster Polarität habe ich in der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrern kennengelernt. Elternmitarbeit wird an meiner Schule in vielen Fällen (bei Jahresfesten, Hausaufgaben) vorausgesetzt. Den aktiven Geist einer Erziehungsgemeinschaft zwischen Eltern und Lehrern auf Augenhöhe spüre ich selten, auch schon vor Zeiten des Hybrid-Unterrichts. Meines Wissens hat die Waldorfbewegung das Beziehungsdreieck Eltern-Lehrer-Schüler verhältnismäßig spät entdeckt, dann aber mit dem (wichtigen) Fokus auf die Selbsterziehung und Schulung des Pädagogen. 

Heimlich frage ich mich, ob alle Waldorflehrer, so wie es bei anthroposophischen Ärzten ja schon immer Usus ist, zunächst einmal Mainstream-Pädagoge werden und sich dann erst zum Wadlorfpädagogen fortbilden sollten? Um die Praxis der Selbsterziehung, das ganzheitliche Menschenbild und die grandiose Differenzierung des Waldorflehrplans auf den sozialen Reflexionstechniken zu gründen, die wir der humanistischen Psychologie der 70er Jahrer zu verdanken haben?

In diesem Fall eine klare Antwort: »Nein«. In den aktuellen Lehrplänen der allgemeinen pädagogischen Hochschulen finden sich erschreckend wenige Angebote zum Thema Erziehungs-Allianz, kreativer Elternarbeit und Selbstreflexion…. 

Welche Antworten braucht die Spaltung? - Wir werden weiter fragen.