Diskussion mit Eltern zulassen

Sehr geehrter Herr Baldszun,

Ich stimme Ihnen fast uneingeschränkt zu, auch in Bezug auf die Methodik. Sie stellen übergeordnete Überlegungen an. Das kann man aber, glaube ich, nicht wirklich mit Eltern ausdiskutieren, die nicht didaktisch vorgebildet sind und im Zweifel auch keine Kenntnisse der philosophischen Grundlagen der Waldorfpädagogik haben. Was mich stört, ist, dass Sie auf Frau Hellmanns Sorge sinngemäß antworten: Wir verfolgen weiterreichende pädagogische Ziele. Das wird als überheblich empfunden. Man fühlt sich nicht ernst genommen. Für engagierte Eltern ist das eine frustrierende Erfahrung. Auch die Kinder können damit nichts anfangen: »Du bist willkommen, Du irrst Dich, Du kannst etwas.« Das wird nicht geglaubt.

Ich vermute, dass bei dem erfahrenen Kollegium in Stuttgart grundlegende Probleme im Sprachunterricht eher nicht bestehen, zumindest nicht als durchgängiges Phänomen. Das ist an anderen Schulen anders.

Ich glaube, wir würden das Verständnis für Waldorfpädagogik verbessern, wenn wir die Diskussion mit den Eltern – auch auf den Lernerfolg bezogen – zulassen würden. Wir überzeugen durch Erfolg – das weckt Interesse am Inhalt, am Wie. Deswegen muss man sich noch lange nicht mit Regelschulen vergleichen, die mit ihren eigenen Problemen kämpfen. Mangelnde Fortbildung ist vielleicht eine Ursache für die Probleme. Bei einem Kind, wie dem von Frau Hellmann, das relativ sprachkompetent in den Unterricht kommt und offensichtlich auch auf Unterstützung zuhause rechnen kann, bin ich mir sicher, sofern nicht Disziplinprobleme in dieser Klasse wesentlich sind, dass schlicht der rote Faden im Unterricht fehlt. Die Kehrseite des eigentlich vorteilhaften Arbeitens ohne Bücher ist für Lehreranfänger eine Überforderung; das macht es Eltern und Schülern unmöglich, autark zu handeln. Die kreative Methodik und der freie Lehrplan verleiten manchen Lehrer dazu, sich nicht zu strukturieren. Wahrscheinlich ist auch, dass die in einer 8. Klasse notwendige Mitarbeit durch den Schüler nicht erfolgreich eingefordert wurde.

Methodisch besteht eine häufige Fehleinschätzung seitens der Lehrkraft darin, dass das »Bad in der Sprache«, die melodische und künstlerische Arbeit mit der Sprache, zwangsläufig immer und bei jedem Schüler irgendwann zum Erfolg führen. Manche Schüler kommen damit überhaupt nicht zurecht. Also hole ich sie auf einem anderen Niveau ab, bevor sie dort hoffentlich ankommen – keine leichte Aufgabe für einen Lehrer, insbesondere wenn die Klassen sehr groß sind.

Das Ergebnis sind Schüler, die völlig frustriert sind und sich für unfähig halten. Sie sind glücklich, wenn sie, egal in welcher Form, eine konkrete Hilfestellung bekommen, am besten natürlich innerhalb des Unterrichts.

Mit besten Grüßen

Karin Krapp

Den Leserbrief von Siegmund Baldszun finden Sie hier