Dressurpädagogik? Nein danke!

Henning Köhler

Was Winterhoff betrifft, scheinen wir grundverschiedene Bücher gelesen zu haben. Ich halte seine Tyrannenkinder-Pamphlete für das Infamste, was seit langem erschienen ist. Im Übrigen beobachtet er falsch, zieht aus den wenigen richtigen Beobachtungen falsche Schlussfolgerungen und argumentiert extrem schlampig. Es wimmelt von Widersprüchen bei ihm, er ist wissenschaftlich hinter dem Mond und aus jeder Zeile spricht Eiseskälte. Waldorfpädagogischen Grundsätzen widerspricht Winterhoff diametral. Ich habe vor wenigen Jahren eine ausführliche, wissenschaftliche wie auch waldorfpädagogisch sauber begründete Polemik gegen ihn und Bernhard Bueb verfasst: Dressurpädagogik? Nein danke! 120 teils namhafte Fachleute haben den Aufruf unterschrieben. (Man findet ihn unter diesem Titel im Internet.) Zu meinem Bekanntenkreis gehören einige der zur Zeit bekanntesten freiheitlich-humanistischen Kindheitsforscher der Gegenwart. Sie sind, was Winterhoff betrifft, sämtlich meiner Meinung.

Wolfgang Bergmann war kurz vor seinem Tod so entsetzt über Winterhoff, dass er ein Buch publizierte, um die Öffentlichkeit vor dem Mann zu warnen. Herbert Renz-Polster hat mir einen Brief geschrieben, um sich für meinen Einspruch gegen Winterhoff zu bedanken. Auch Henning Kullak-Ublick vom Bund der Freien Waldorfschulen hat den Aufruf unterzeichnet. Es gibt ja diesen ewigen Zwist zwischen, ich sage mal, Freiheits- und Wärme­-pädagogik auf der einen Seite und dem Konzept des operanten Konditionierens auf der anderen Seite. Vertreter beider Strömungen können sich verständigen, wenn sie auf ihrer jeweiligen Seite »im goldenen Schnitt« stehen, also nicht extrem außen. Winterhoff positioniert sich im behavioristischen Spektrum extrem außen, auch wenn er sich teilweise einer psychoanalytischen Begrifflichkeit bedient (und das auch noch falsch). Ganze Passagen seines ersten Buches sind nahezu wortgleich mit Ausführungen von Johanna Haarer, der Erziehungspäpstin des »Führers«, die wiederum stark von knallharten amerikanischen Behavioristen beeinflusst war. Hoffen wir mal, das ist nur ein seltsamer Zufall.

Was Sie ansonsten über die Not vieler heutiger Kinder schreiben, ist mir berufshalber bestens bekannt. Meine Kollegen und Kolleginnen und ich tun ja die ganze Zeit nichts anderes, als all den konfusen, tief verunsicherten und oftmals schon so früh erschöpften kleinen Menschen und ihren Eltern zu helfen. Nur: Leute wie Winterhoff, die schon an der Diagnose scheitern (80 Prozent Kinder mit »frühkindlich-narzisstischer Störung«, so ein Unfug!), wollen das Übel genau mit den Mitteln austreiben, die es herbeiführen. Bildlich gesprochen: Die Kinder frieren, und Winterhoff empfiehlt dagegen eine Kältetherapie. ‹›

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