Falscher Name, unscharfe Ziele

Andreas Becker

Unter dem Begriff »politisch links« wird allgemein verstanden, dass man sich für einen Umbau der Gesellschaft hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit einsetzt. Die gesellschaftliche Fürsorge wird stärker betont als die individuelle Verantwortung. Gewachsene Strukturen, die diesen Zielen im Wege stehen, sollten verändert oder abgelöst werden. Staatsgrenzen sind eher unwichtig und der Einzelne sollte sich mehr mit der ganzen Menschheit als mit einem Staatsvolk verbunden fühlen. Der Staat soll nicht nur verwalten, sondern den Umbau der Gesellschaft fördern oder sogar vorantreiben. Linke Politik ist fortschrittsgläubig. Freie Schulen sind mit linker Politik schwer vereinbar, weil sie dem Ideal der Gleichheit im Weg stehen.

Unter dem Begriff »politisch rechts« wird ein mehr konservatives Weltbild verstanden. Bewährte Strukturen in Staat und Gesellschaft sollen gepflegt und gestärkt werden. Die individuelle Freiheit und Verantwortung wird stärker betont als die staatliche Fürsorge. Der Staat soll sich auf seine Verwaltungs- und Schutzaufgaben beschränken. Der Einzelne fühlt sich in abnehmender Reihenfolge seiner Familie, seiner Gemeinde, seiner Kirche, seinem Land und seinem Staat verantwortlich. Freiheit ist tendenziell wichtiger als Gerechtigkeit. In einem rechten Staat gibt es idealerweise keine Kultusbehörde, sondern nur noch freie selbstverwaltete Schulen und Kirchen.

Sogenannte links- oder rechtsradikale Politik, wie sie sich unter Hitler, Stalin, Mao-Tse-Tung oder in der DDR ausleben konnte, hat mit diesen Kategorien nichts zu tun. In der Praxis gleichen sich diese Staaten weitgehend: Gesinnungsschnüffelei, Geheimdienstterror, vollständige Medienkontrolle, totale staatliche Schulkontrolle, totalitärer Staat. Allerdings kommt man durch Übertreibung einer konservativen Politik nicht zum Nationalsozialismus, weswegen sich Nationalsozialisten im Parlament ganz links hinsetzen sollten, wenn man schon eine Sitzordnung haben will. Der »Arbeitskreis gegen Rechts« hat aber nicht nur einen falschen Namen, sondern gibt sich auch unscharfe Ziele: Was soll das bedeuten, wenn eine bestimmte Gesinnung der Eltern unseren pädagogischen Zielen im Wege steht? Zum Beispiel die Gesinnung, dem Kind die unbegrenzte Nutzung von Smartphone und PC zu erlauben, wodurch es in seiner Freizeit praktisch alles wieder auslöscht, was wir ihm vormittags nahegebracht haben? Oder die Gesinnung, dass Eurythmie ein überflüssiges Fach ist, wodurch das Kind – diese Gesinnung spürend – den Unterricht innerlich oder äußerlich boykottiert? Oder die Gesinnung, dass Waldorfpädagogik bis zur Neunten ganz ok ist, aber dann die Lehrer sich mal auf die Prüfungen konzentrieren sollten?

Wenn die Eltern sich also bewusst oder unbewusst durch ihr Denken, Handeln oder Nichthandeln der Waldorfpädagogik in den Weg stellen, soll das bedeuten, dass wir ihnen den Schulvertrag kündigen können …? Wohin soll das führen? Gemütspflege, Denkschulung, Willenserziehung: Das ist seit 25 Jahren mein Auftrag an den Kindern, und der versteht sich unabhängig von der Weltanschauung, den politischen Überzeugungen oder der Gesinnung der Eltern.

Zum Autor: Andreas Becker ist Oberstufenlehrer in Schwäbisch Hall.