Kevin in Not

Kevin de Renteria

Ich heiße Kevin! In diesem Moment öffnet sich bei ihnen wahrscheinlich eine Schublade. Die Gedanken, Vorstellungen, Assoziationen und Vorurteile, die sich in dieser befinden, kenne ich, diese sind der Grund, warum ich hier schreibe. Bis zu meinem 15. Lebensjahr war mir die Problematik um den Namen Kevin nicht bewusst, ich wohnte in Südamerika, wo der Name unbelastet von jeglichen Vorurteilen ist. Als ich dann nach Deutschland zog, meinten meine neuen Klassenkameraden irgendwann, dass ich ja gar kein Kevin sei. Erst ab diesem Moment wurde mir bewusst, dass Kevin kein Name wie jeder andere ist. Viele Erlebnisse sollten mir das immer wieder bestätigen: Bei der ersten Fahrstunde hieß es: »Ah, ein Kevin.« Auf offener Straße von einem Freund beim Namen gerufen zu werden, lässt mich im ersten Moment zusammenfahren.

»Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose«, kommentierte ein Lehrer in einer Studie der Universität Oldenburg über die Assoziationen von Lehrern zu Vornamen der Schüler. Die Lehrer könnten den Kindern damit womöglich geringere Bildungschancen einräumen, warnt Studienleiterin Astrid Kaiser. Der Name ist wie ein alter dreckiger Pulli, den man nicht ausziehen kann, da den Vornamen zu wechseln, fast nicht möglich ist. So sehe ich mich bei jeder Vorstellung gezwungen, mich zu rechtfertigen, zu zeigen, dass ich ein Individuum bin und nicht »ein Kevin«. Es geht schon so weit, dass man diesen Namen irischen Ursprungs als Schimpfwort benutzt. Das gleiche Phänomen kann man bei anderen Wörtern auch beobachten, zum Beispiel »Neger«, »Schwuler« und »Behinderter«. Neutrale Wörter oder Namen werden im täglichen Sprachgebrauch mit negativen Attributen versehen, erniedrigt bis hin zum Schimpfwort und können nicht mehr wertneutral benutzt werden. Dann wird der Gebrauch dieser Wörter gesellschaftlich tabuisiert. Ein neues Wort muss her. So geschehen mit Neger-Schwarzer-Farbiger. Der aufgeklärte Bürger vermeidet den Gebrauch dieser Wörter und verhält sich somit politisch korrekt. Aber mir scheint, das ständige Ausweichen auf neue, noch neutrale Begriffe bedeutet nicht wirklich, dass wir Menschen in unserem sozialen Bewusstsein eine Weiterentwicklung gemacht haben. Schubladen helfen Ordnung schaffen, Ordnung im eigenen Kopf. Aber auch Bewertung und Ungerechtigkeit. Das gehört zur Geschichte der Menschen. Solange eine Gesellschaft Zigeuner, Neger und Kevins braucht, wird es Unrecht geben. Wir Leser hätten den Artikel auch verstanden, wenn Herr Glenz den Namen »Kevin« durch das Wort »Junge« oder »Schüler« ersetzt hätte.

Zum Autor: Kevin de Renteria besucht die 12. Klasse der Freien Waldorfschule Landsberg.