Misslungener Neustart

Von Herwig Engelmann, Februar 2022

Leserbrief zu »Herzensthema Erziehungskunst« in Erziehungskunst 01/02 2022.

Sehr geehrte Frau Lonnemann, sehr geehrter Herr Ravagli, sehr geehrte Mitglieder des Beirats,

wie traurig, dass die »Erziehungskunst« mit der neuen Redaktion in die Kohorten des Genderismus-Feminismus eintritt. Ich habe sie bisher gern gelesen.

Nach dem ersten Aufschlag zu urteilen, geht es Ihnen nicht nur um die angeblich geschlechtergerechte Sprache, die Sie mit der üblichen halbwissenden Selbstgerechtigkeit (und falschen Argumenten) für unabdingbar erklären. Auch die unerschrockene Kampfansage an alles Bisherige und die Themensetzung lassen erwarten, dass der neuen Redaktion daran gelegen ist, Normalität zu verketzern, minoritäre Definitionshoheit durchzudrücken, die Weltanschauungs-Tyrannei der »Diversität« auszurufen.

Warum eigentlich muss Schule feministisch ideologisiert und mit identitärem Ressentiment aufgeladen werden? Was soll die lächerliche Drohung, dass es ein »zurück zu Normal« nie mehr geben wird? Was hat außerhalb einer sektenartig verengten Geisteshaltung der Klimawandel mit Feminismus zu tun? Welchen Sinn hat es, diesen Kulturkampf in die Waldorfpädagogik – oder irgendeine Pädagogik zu tragen? Auf Basis welcher Überzeugungen fühlen Sie sich berufen, das »Hereinbrechen in unsere Selbstsicherheit« mit dem Hammer zu betreiben und alle anderen als Ihre eigenen Glaubenshaltungen zum Verschwinden zu bringen? Und wie ist es Ihnen gelungen, sich davon zu überzeugen, dass leere Phrasen wie das »Verschwinden von Gewissheiten« aus Ihren Federn die Bedeutung einer erleuchtenden Botschaft annehmen?

Womöglich ist die Gender-Beflissenheit in manchen Waldorfschulen der Versuch, sich als fortschrittlich zu profilieren und dem Ruch des Sektenhaften zu entkommen. Leider führt sie anscheinend dazu, sektiererische Denkhaltungen eher zu verstärken.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden Sie feststellen, dass Ihre so sendungsbewusste wie geringschätzige Kooptierung des »Herzensthemas«, der »Kernaufgabe«, der »Weiterentwicklung« (sie stellt alle, die mit Ihrer Linie nicht konform gehen, implizit als ewiggestrige, reaktionäre Deppen hin) sich als Spaltung erweist. Diesen Neustart finde ich gründlich misslungen. Ich wünsche Ihnen den Mut, ihn zu revidieren!

Freundliche Grüße,

Herwig Engelmann

Zum Artikel »Herzensthema Erziehungskunst«

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