Moralisieren unterlassen

Larissa Beckel

Da Herr Maris Gynäkologe mit eigener Praxis ist, der viele Frauen und Familien berät, finde ich seinen Standpunkt zum Thema Abtreibung diskussionswürdig. Herr Maris schreibt:

»Abtreibung: Wissen wir, was wir bei einer Abtreibung machen? Für manche Frauen scheint es eine Art Rettung zu sein, viele fühlen sich auch Jahrzehnte später noch unheilbar verletzt, traumatisiert. Und für das ungeborene, nicht-geborene Kind? Wenn wir eine Existenz der Kindesseele vor der Empfängnis annehmen oder ahnen – sowie für viele auch ein Leben nach dem Tod nicht ausgeschlossen ist –, wird diese Seele, die gerade bemüht ist, sich zu nähern, grob zurückgestoßen. Wir können vermutlich nicht ahnen, was das für Folgen haben kann.«

Abtreibung ist gewiss ein schwieriges Thema und noch schwerer ist es für die betreffende Frau eine Entscheidung für oder gegen ein Kind zu treffen. Im Artikel stellt Herr Maris das Leben und Wohl des Kindes über die Selbstbestimmtheit der Frau. Der Weg der Seele des Kindes, wie Herr Maris ihn beschreibt, ist spekulativ. Real dagegen ist das Leid vieler Frauen weltweit, denen die Möglichkeit einer Abtreibung verwehrt bleibt. In vielen Ländern, so auch in einigen EU-Ländern, riskieren sie durch illegale Abtreibung ihr eigenes Leben, langjährige Haftstrafen und gesellschaftliche Stigmatisierung. Eine Entscheidung für oder wider eine Abtreibung zu fällen, gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die eine Frau treffen kann. Deshalb sollte es Aufgabe der Ärzte und Ärztinnen sein, professionell zu beraten, um die Frau bei dieser schwierigen Entscheidung durch ausgewogene Information zu unterstützen. Zu dieser Professionalität gehört auch, sich eines Urteiles über die jeweilige Entscheidung zu enthalten und nicht zu moralisieren, wie es Herr Maris tut. Direkt oder indirekt ein Urteil über die Entscheidung der Frau zu fällen, ist anmaßend.