Organtransplantation – Leben als Geschenk

Ingo Weckenmann

Als Arzt habe ich über viele Jahre immer wieder Einblicke in den Bereich der Transplantationsmedizin bekommen und möchte daher dem Artikel von Christel Traut einige Gedanken hinzufügen.

Sterben ist ein Prozess. Selbst das, was wir den Schritt über die Schwelle des Todes nennen, ist oft nicht wirklich ein Moment, sondern eine Entwicklung. Aber wir können nach aller medizinischen Erfahrung doch feststellen, wann ein Weg zurück ins Leben nicht mehr möglich ist. Wir können manchmal nicht genau wahrnehmen, wann die Schwelle gerade überschritten wird, aber wenn sie überschritten wurde, können wir – auch bei noch bestehender Funktionsfähigkeit einzelner Organe – die Unumkehrbarkeit des Sterbe-Prozesses für den gesamten menschlichen Organismus eindeutig feststellen. Und erst, wenn die Unumkehrbarkeit des Sterbe-Prozesses zweifelsfrei festgestellt wurde, darf eine Organentnahme er­-wogen werden.

Des Weiteren stellen wir fest, dass wir im Sterbeprozess unseren leiblich-physischen Körper zwar verlassen, dass dieser Leib aber nach dem Ende des Sterbeprozesses niemals wirklich tot ist. Denn die Lebensprozesse des Leibes münden langsam, aber stetig in die Lebensprozesse des Erdorganismus ein! Alles Materielle bekommen unsere Erben, und alles Leibliche – das Physische und das Ätherische – geben wir der Erde bzw. dem Kosmos zurück.

Warum sollte es dann verwerflich sein, unsere Organe anderen Menschen zu schenken? Warum sollen unsere Organe nicht über den Umweg der Hilfe für einen anderen Menschen später in den Erdorganismus eingegliedert werden?

Integration in die eigene Biographie

Es mag Menschen geben, die über das Spenderorgan Wesenszüge des Spenders spüren können – warum nicht? Bekomme ich nicht im Laufe meines Lebens ganz viele Einflüsse von Menschen zu spüren, geht nicht vieles über die Erbsubstanz an Wesenszügen von meinen Eltern auf mich über, werde ich nicht durch das Handeln meiner Mitmenschen geprägt? Warum soll ich nicht mit dem Geschenk eines Organs auch etwas vom Wesen dieses Menschen geschenkt bekommen? Ich darf doch das Organ nicht mit meinem Ich verwechseln! So wie es meine Schicksalsaufgabe ist, aus dem Vererbungsstrom und den Einflüssen der Mitmenschen einen eigenen Lebensweg zu gestalten, also meine Ich-Organisation in die Lebensbedingungen der Erde und der sozialen Gemeinschaft zu integrieren, so ist es dann meine Aufgabe, mit dem geschenkten Organ verantwortungsvoll zu leben und es in meine Biographie zu integrieren.

Die Verständigung weiter entwickeln

Ich habe auf verschiedenen pädiatrischen Intensivstationen gearbeitet, war mit Tod und Sterben konfrontiert und habe erlebt, dass auch moderne Intensivmedizin unter Wahrung der Würde und der Frage nach dem Schicksal eines Menschen realisiert werden kann. Und dass die Pharmaindustrie im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin viel Geld verdient, ist unbestritten. Sie verdient jedoch an den Patienten, die mit versagenden Organen jahrelang auf eine Transplantation warten, noch mehr. Aber: Ist der finanzielle Aspekt eine wirkliche Grundlage zur Entscheidung für oder gegen Transplantationsmedizin? Warum wurde er in dem Artikel erwähnt?

Ich kenne einen Jungen, der nach vielen Jahren einer schlimmen Leidenszeit und dann einer Herztransplantation ein erfülltes Leben führt. Die Familie lebt in großer Dankbarkeit für dieses Geschenk und hilft mit, die Fragen nach Verständnis und Verständigung im Bereich der Transplantationsmedizin weiter zu entwickeln. Und es war für mich bedrückend, zu erleben, wie die Mutter dieses Jungen auf einer Vortragsveranstaltung beim Versuch, dem Vortrag einige Gedanken und Erfahrungen hinzuzufügen, von einigen Zuhörern heftig angegriffen und angefeindet wurde und sich geradezu als Verbrecherin fühlen musste.

Was wir denken und anderen Menschen empfehlen, ist – unter anderem – sehr geprägt von unseren eigenen Erfahrungen und Empfindungen. Insofern ist es geradezu notwendig, dass wir in Bezug auf schwierige Fragen des Daseins zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen und Standpunkten kommen.

Dass die Autorin aus ihren Erlebnissen heraus zu einer ablehnenden Haltung kommt, kann ich vollständig verstehen und respektieren. Diesen Bereich der Medizin aber komplett abzuschaffen und sich der Mithilfe zu verweigern, sehe ich nicht als einzige Möglichkeit einer konstruktiven Lösung. Und so meine ich: Auch Menschen, die sich der Anthroposophie verpflichtet fühlen, können mithelfen, die Begleitung und Unterstützung von Menschen in diesem medizinischen Bereich zu verbessern. Wie notwendig das ist, kommt in dem oben genannten Artikel ja deutlich zum Ausdruck.