Reger Querausstieg

Heiner Barz

Ich erlebe in den Waldorfklassen meiner beiden Jungs (10. und 12. Klasse) einen sehr heftigen Querausstiegsbetrieb. Von Klasse 9 zu 10 sind in einem Fall ca. zehn Schüler abgegangen (d.h. die halbe Klasse!) – auf Realschulen und Gymnasien, sicher auch aus unterschiedlichen Gründen, die nicht immer in erster Linie mit der Leistungsdimension zu tun hatten. Das heißt zum einen: die »knallharte« Aufnahmeprüfung schaffen durchaus etliche ehemalige Waldorfschüler.

Zum anderen entsteht fast der Eindruck bei den verbliebenen Eltern und Schülern, dass sie eine Art Loser-Restgruppe sind … Die anderen, die Leistungsstarken, haben den Absprung rechtzeitig geschafft. Und bereiten sich dann gerade aufs Abitur vor, während wir bei unserem Sohn bibbern, ob er im gleichen Schuljahr den Realschulabschluss an der Waldorfschule schafft (was weniger an der Schule, mehr an seiner generellen »Unbeschulbarkeit« liegt).

Kurz und gut: Die Ungleichzeitigkeit in der Erreichung der »Zertifikats-Meilensteine« zwischen Waldorfschulkarrieren und staatlichen Schulkarrieren hat sich durch G8 noch einmal verschärft. Und das »Weniger«, das Waldorf bedeutet (weniger schnell Realschulabschluss bzw. Studienberechtigung), steht klar vor Augen.

Beim »Mehr«, das Waldorf bedeutet (nämlich altersgemäßer statt abschlussgemäßer Lehrplan, ganzheitliche Förderung statt Examensdrill etc.), braucht es offenbar noch erhebliche Kommunikationsanstrengungen. Und vielleicht auch eine empirische Bestandsaufnahme zum regen Quereinstiegs- und Querausstiegsgeschehen an Waldorfschulen.

Dass die Lücken in den Klassen umgekehrt durch Quereinsteiger in den oberen Klassen meist problemlos aufgefüllt werden können, die im staatlichen System zu scheitern drohen, kaschiert das real vorhandene Problem, so dass es zumindest ökonomisch noch nicht ins Gewicht fällt.

Zum Autor: Prof. Dr. Heiner Barz ist Bildungsforscher an der Universität Düsseldorf