Ringen um Zeugnis ohne Noten

Dietrich Spitta

In den Modellschulen wird anstelle von Noten aufgeführt, welche Aufgaben erledigt wurden, welche Themen beherrscht werden und wo noch Lücken sind. Dies wurde auch vom zuständigen Referenten Martin Silzer im Ministerium bestätigt. Als Hauptgrund für das Aus wurde von der Kultusministerin bei einem Treffen von rund 150 Schulleitern in Bietigheim-Bissingen die fehlende wissenschaftliche Begleitung des Versuchs genannt. Auf die Frage des Rektors einer betroffenen Schule, inwieweit ihrer Ansicht nach die Note einer Ziffer die Leistungen von Schülern differenziere, sei die Kultusministerin die Antwort schuldig geblieben und habe sich stattdessen klar zu Noten für die Leistungsbewertung von Schülern bekannt. Bei einem Ortstermin, zu dem zwei Rektoren von betroffenen Schulen eingeladen hatten, haben die Landtagsabgeordneten der Grünen Markus Rösler und Jürgen Walter erklärt, dass das Ende des Schulversuchs nicht mit ihnen abgestimmt worden sei. Diese wollen sich nun im Konsens mit ihrer Fraktion dafür einsetzen, dass ein neues Modell auf den Weg gebracht wird, bei dem die Grundschulen selbst wählen können, ob sie ihre Zeugnisse mit oder ohne Noten vergeben. Auch soll der Versuch breiter angelegt sein als der bisherige und wissenschaftlich begleitet werden.

Es ist skandalös, dass die Ministerin, offensichtlich mit Unterstützung der Ministerialbürokratie, den Schulversuch mit einer fadenscheinigen Begründung und ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner einseitig beenden will, weil dieser ihrer persönlichen Meinung widerspricht. Es ist das ein Ausdruck der bisher üblichen obrigkeitsstaatlichen Einstellung der Kultusministerien, die auf die Zeit des fürstlichen Absolutismus zurückgeht. So wurde im »Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten« vom 5. Februar 1794 festgelegt: »Schulen und Universitäten sind Veranstaltungen des Staats, welche den Unterricht der Jugend in nützlichen Kennnissen und Wissenschaften zur Absicht haben«. Dieser Grundsatz, dass die Schulen Anstalten des Staats sind, wird heute immer noch praktiziert, obwohl es in Artikel 7 des Grundgesetzes nur heißt: »Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates«. Schon Wilhelm von Humboldt hat 1809 während seiner leider nur kurzen Zeit als Leiter der Kultus- und Unterrichtsangelegenheiten in Preußen an seinen Mitarbeiter Uhden geschrieben: »Man muss so viel Freiheit lassen, als möglich. In Schulsachen muss das Regieren mit der Zeit so viel als möglich ganz eingehen«. So wäre es ein großer Fortschritt, wenn die Kultusministerin und die Fraktion der CDU den Vorschlag aufgreifen würden, es künftig den Grundschulen selbst zu überlassen, ob sie die Leistungen und auch das Verhalten der Schüler benoten oder im Einzelnen beschreiben wollen. Dass dies keine negativen Auswirkungen auf die Leistungen der Schüler hat, beweisen die weltweit über 1000 Waldorfschulen, welche seit der Gründung der ersten Schule 1919 in Stuttgart keine Zeugnisse mit Noten vergeben, sondern den Schülern beschreiben, worin ihre Stärken und ihre Schwächen bestehen, was wesentlich klarer und differenzierter ist als eine abstrakte Note.