Sehr enttäuscht

Betül Firat-Wyszniewski

Mit Erleichterung und einem guten Gefühl schlug ich die Seite auf und war voller Neugier, diesen Bericht zu lesen. Endlich – dachte ich – es gibt doch eine Gerechtigkeit.

Auch wenn es ein kleiner Trost ist, vielleicht trägt dieser Bericht zur Linderung der verursachten Schmerzen und somit zum Heilungsprozess bei.

Denn mit einem Wechsel auf eine neue Schule ist für die betroffenen diese Angelegenheit noch längst nicht Vergangenheit. Es erinnert mich an ein Paar, das sich aus Überzeugung für einen bestimmten Geburtsort entscheidet, und nach einer traumatisierten Geburt mit den besten Glückwünschen die Klinik verlassen darf. Mit den Folgen oft allein gelassen.

Ist das Paar, die Familie im Kern gesund, wird sie diesen Prozess gemeinsam durchstehen. Ist dies nicht der Fall, folgen weitere Konsequenzen, verursacht durch ein Geburtsteam, das dem Geschehen kein Vertrauen, der Gebärenden kein Gehör, dem Kind nicht die nötige Einfühlsamkeit geschenkt hat, sondern die eigenen Ängste und Unsicherheiten hat walten lassen.

In Kombination mit Ungeduld, Druck und einer gewissen Portion selbstgestalteter Pathologie ist dies kein Einzelfall.

Genauso wie Miguel – es war nicht schwierig, zu erraten, um welches Kind es sich handelt –, der mit seiner Art sicherlich gewisse Schwierigkeiten mitbrachte, die aber keineswegs Gewalttätigkeit oder kriminelles Potential aufwiesen.

Und trotzdem war ich sehr enttäuscht, als ich feststellen musste, dass hier der Bezugslehrerin Engagement und Einsatz zugeschrieben wurde. Denn genau das war nicht der Fall und somit das größte Problem. Es gab Momente, in denen man gespürt hat, dass Miguel niemals einen Zugang zu seiner Lehrerin haben wird. Ihre festgefahrene Meinung, ihre Unsicherheiten und Ängste spiegelten sich in ihren Handlungen wider.

Miguel ist ein sehr, sehr sensibles Kind, das genau diese Eigenschaften relativ früh wahrgenommen hatte. Die Klassenlehrerin widersprach sich und war ambivalent in Ihren Aussagen.

Als ein Vater im Namen der Elternschaft und der Kinder einen liebevollen, dem pubertierenden Jungen verständnisvoll zugewandten Brief an die Lehrerin verfasst hatte, gab sie sich für einen Moment den Ruck und fühlte plötzlich die Macht der »Miguel-Anhänger«.

Da sie nicht wirklich mit Überzeugung dahinter stand, zerplatzte das ganze wie eine Seifenblase.

Ich hatte mir oft die Frage gestellt, ob es sich hier um eine kompetente Lehrerin handelt, die die Waldorfpädagogik wirklich verinnerlicht hat.

Als dann auch der Bruder die Schule verlassen wollte, hat man seinen Migrationshintergrund (Miguel und sein Bruder gehören zur 3. Generation) für sein Verhalten bzw. sein Temperament verantwortlich gemacht.

Hier stellt sich für mich eine weitere Fage: Wieviel Generationen braucht es noch, um hier anzukommen?

Und: Wie ist es möglich, eine Akzeptanz der Vielfätigkeit und Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft zu erwarten, wenn dies noch nicht einmal in den kleinsten Kreisen funktioniert?