Siegertypen und tieferes Ethos

Klaus Grünebach

Man könnte nach dem Lesen des Beitrags von Herrn Köhler den Schluss ziehen: Heranwachsende dürfen ruhig auf Abwege geraten, wie hier geschildert: Anorexie und Drogen. Waldorfpädagogik sei von »einem tieferen Ethos« beseelt, als solche Entgleisungen zu verhindern bzw. sich von einem »bravourösen Verlauf der äußeren Dinge leiten« zu lassen.

Dass die Seelen der Heranwachsenden jedoch im Mittelpunkt einer jeden Pädagogik und im Besonderen der Waldorfpädagogik stehen sollten, vergisst man beim Lesen dieses Textes. Natürlich hat die Familie L. »Bockmist« gebaut, wenn die Kinder seelische Krankheiten in dieser Ausprägung zeigen, wenn sie alleine nicht mehr zurecht kommen, wenn sie Therapie benötigen, bzw. selbstzerstörerisch handeln. Egal wie es nach Außen hin scheint! 

Außerdem werden hier die pädagogischen Bemühungen der Eltern mit »Waldorf« gleichgesetzt – ein leider so typisches Beispiel von Verwechslung. Eine gesund entwickelte Seele kann ihren eigenen Weg, der keineswegs gerade sein muss, finden. Aber selbstzerstörerisch wirkt sie nicht. Wer als Pädagoge sich hier zurücklehnt und auf das »tiefere Ethos« beruft, hat seinen Beruf verfehlt. Und dass die Kinder der Familie S. keine Geborgenheit erfahren haben sollen, wage ich auch zu bezweifeln. Genügend Biografien in der Literatur zeigen, dass solch ein Lebensstil bei fehlender Geborgenheit ganz andere Auswirkungen haben kann. Ich selbst habe in meiner Berufslaufbahn ungezählte mehr oder weniger gesunde und kranke Seelen erlebt. Ich habe jedoch immer zu verhindern versucht, solche »Plakate« zu entwerfen, um mich dann selbstherrlich zurücklehnen zu können und mich auf das »tiefere Ethos« zu berufen.

Selbstverständlich gibt es auch an der Waldorfschule »Siegertypen« (für jeden leicht sichtbar z.B. bei der Vorstellung der Jahresarbeiten oder beim  Klassenspiel!), aber als gesunde Gesamtschule repräsentiert sie normalerweise ein weitgehend authentisches Spektrum an Fähigkeiten und Begabungen in der Gesellschaft und bedarf deshalb solcher plakativen Fragen nicht.

PS: Den Beitrag von Herrn Niederhausen möchte ich voll und ganz unterstützen!

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Grünebach

Anmerkung der Redaktion: Siehe auch die Diskussion in den Kommentaren zu Henning Köhlers Artikel