Wer in einem Pflichtschulsystem das Recht hat, Schulabschlüsse einzurichten, die das künftige Berufsleben bestimmen, verfügt damit auch über die Macht der Vergabe sozialer Chancen. Ist diese Institution dann auch noch autorisiert, die Inhalte vorzuschreiben, entsteht eine »diktatorische« Gewalt. Der Bildungsföderalismus löst die damit verbundenen Probleme nicht. Ganz im Gegenteil: Er schafft zusätzlichen Ärger, unter anderem wegen der Mobilität in unserer Gesellschaft, wobei die Bildungshoheit in 16 Bundesländern zu einer Inkompatibilität der Systeme und Abschlüsse führt. Wozu der föderale Aufwand, wenn eine Kultusministerkonferenz (KMK) dauerhaft damit beschäftigt ist, etwas Harmonie in diese »Vielfalt« zu bringen? Wer in einem solchen System auf die Luft der Freiheit angewiesen ist, leidet zwangsläufig an Atemnot.
An diesem Zustand hat sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten im Prinzip nichts geändert, weder durch die politischen Dauerreformen, noch durch den Einfluss von Interessenverbänden und schon gar nicht durch die Erziehungswissenschaft. Für eine Veränderung gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es findet eine Revolution statt, oder man schafft Raum für Luftblasen im System. Letzteres ist realistischer Weise angesagt, schließlich haben sich Waldorfschulen immer in diesen Lücken und Nischen entwickelt. Sie müssen zu
großen Freiräumen ausgebaut werden. Hierzu können Stiftungen einen Beitrag leisten, was auch vielfach schon geschehen ist.
Nun ist es nicht opportun, einem Geldgeber – sei es einer Einzelperson, einer Organisation oder einer Stiftung – eine eigene Auffassung abzusprechen. Schließlich resultiert daraus der Wille, »Geld zu schenken«. Voraussetzung für dieses Schenken ist eine Verständigungsbeziehung zwischen Geldgeber und Empfänger, die sich bildet, wenn menschliche Qualitäten gelebt werden. Dafür gibt es seit Emil Molt eindrucksvolle Beispiele.
Der Wegfall solcher Gelder hat zwei gravierende Konsequenzen: Das Bewusstsein für die Waldorfschulen schwindet aus der Gesellschaft und die finanzielle Belastung unserer Eltern wird noch größer. Es ist kontraproduktiv, Stiftungen mit dem Begriff »Diktatur« zu belegen, nur weil sie aus den wahrgenommenen Missständen heraus mit eigenen experimentellen Vorschlägen kommen. Letzteres ist zwar für den Einen oder Anderen, der nicht bedacht wird, ärgerlich, zeigt aber, dass es vielfach an attraktiven Ideen und an Überzeugungskraft der potenziellen Empfänger mangelt. Im Übrigen kämpfen diese auf verlorenem Posten, wenn ihr Bemühen von schulischen Erlebnisdefiziten begleitet wird.
Vor einigen Jahren hat die Bosch-Stiftung einen Preis für »Die beste Schule Deutschlands« ausgelobt. Er fiel an eine staatliche Schule in Bargteheide bei Hamburg, wo es auch eine Waldorfschule gibt. Es lohnt sich, die Begründung für die Preisvergabe zu lesen. Ein Grund war besonders bemerkenswert: In den letzten 15 Jahren hat kein Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. Ohne die Stiftungen wären die Waldorfschulen heute nicht das, was sie sind.
Auch von der Bosch-Stiftung wurden wir schon bedacht. Aus diesem Grund möchte ich stellvertretend für alle bisherigen Empfänger von Stiftungsgeldern einen Dank aussprechen, verbunden mit der Hoffnung auf eine zukünftig intensivere Zusammenarbeit.
Zum Autor: Hansjörg Hofrichter ist Gründer der Waldorf- und der Astoria-Stiftung sowie Mitglied im Vorstand der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen.