Ohne Eltern geht es nicht

Jörg Carstensen

Die Art der Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern ist in jeder Waldorfschule verschieden. Auf den Bundeselternrats-Tagungen, zu denen aus dem ganzen Bundesgebiet Elternvertreter zusammenkommen und sich austauschen, erlebt man, dass jede Schule eine individuelle, spezifische Art der Zusammenarbeit ausgebildet hat. Ist die Schule eine Lehrergründung, sieht diese Zusammenarbeit anders aus, als bei einer Schule, die von Eltern ins Leben gerufen wurde. Ein anderer Unterschied ist, wie bewusst das soziale Miteinander von Eltern und Lehrern, aber auch von Schülern gestaltet wird.

Für Rudolf Steiner, den Begründer der ersten Waldorfschule, war die Zusammenarbeit ein absolutes Muss. Sie hat allerdings nach seiner Auffassung eine unverzichtbare Voraussetzung. In einer Ansprache forderte er 1919 die Lehrer auf: »Wir brauchen in dieser Schule, wenn wir in der richtigen Weise vorwärts kommen wollen, mehr als an einer anderen, ein vertrauensvolles Zusammenwirken mit den Eltern. Unsere Lehrer sind durchaus darauf angewiesen, dieses vertrauensvolle Zusammenwirken mit den Eltern der Kinder zu finden.« Und über die Eltern sagte er: »In erster Linie ist darauf zu rechnen, dass diejenigen, die uns ihre Kinder anvertrauen, die also eine gewisse Liebe zur Waldorfschule haben, auch eindringen können in Gedanken, Empfindungen, Willensprozesse, die uns selbst tragen.«

In meinem über zehnjährigen Engagement als Elternvertreter an der Freien Waldorfschule Flensburg habe ich viele unterschiedliche Erfahrungen gesammelt, wie das gehen kann. Dabei gibt es keinen Weg, der für alle Schulen der richtige ist, denn die Voraussetzungen sind sehr unterschiedlich.

Ob Anthroposoph oder Dienstleistungsempfänger – jeder Elterntyp sollte anerkannt werden

Eltern wählen die Waldorfschulen aus unterschiedlichen Gründen. Einige sind Anthroposophen und eine andere Schulart kommt gar nicht in Frage. Wiederum andere begeben sich aus einer prinzipiell positiven Gesinnung mehr oder weniger bewusst auf einen Weg der Annäherung und erfahren während der gesamten Schulzeit ihrer Kinder zahlreiche Anregungen und Hilfen. Das sind die beiden Gruppen, die die Schule in allen Situationen tragen und mit den Wurzeln der Waldorfpädagogik verbunden sind.

Eine weitere Gruppe Eltern kann oder will diesen Weg so nicht gehen – und auch diese tragen die Schule, haben aber andere Erwartungen. Sie bezahlen Schulgeld und erwarten dafür eine bestimmte Leistung. Backen, Bauen, Basar ist in Ordnung, die Auseinandersetzung mit der Anthroposophie aber nicht gewünscht. Das muss unbedingt akzeptiert werden von denen, die dem geistigen Kern dieser Pädagogik näher stehen. Dennoch ist es wichtig, dass die Quellen immer wieder dargestellt werden.

Eine Gruppe von Eltern zeigt zwar eine prinzipielle Aufgeschlossenheit und Interesse gegenüber der Waldorfpädagogik, aber nur, so lange es nicht unbequem wird, unbequem für einen selbst und unbequem für das Kind. Doch will man wirklich etwas bei sich und anderen verändern, muss man bei sich selbst beginnen – und das geht meist nicht ohne Schmerzen ab. Um diese divergierenden Interessen und Erwartungen zu vereinen, müssen vor allem zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein: dass die Bedürfnisse des Anderen anerkannt werden – auch wenn die eigenen andere sind – und gegenseitiger Respekt.

Fehlt diese Offenheit und die Bereitschaft aufeinander zuzugehen, baut man Gegensätze auf, verliert die Sache – das Wohlergehen der Kinder aus dem Blick – und formale oder strukturelle Vorgaben helfen nicht weiter.

Eine Waldorfschule ist eine Schicksalsgemeinschaft. Wenn sie sich entwickeln soll, wird sie sich ständig verändern. Diese Veränderungen ergeben sich aus der Zusammenarbeit von Menschen, die sich wiederum weiterentwickeln und verändern.

Gremienmitarbeit auf allen Ebenen – kann das gelingen?

Im Elternrat an unserer Schule entstand vor vielen Jahren der Wunsch nach Transparenz und wirklicher Zusammenarbeit. Diese Idee wurde hartnäckig verfolgt. Die Mitglieder des Elternrates sollten in alle Gremien der Schule eingebunden sein, aber im Elternrat verankert bleiben.

Auf die erste Anfrage zur Mitarbeit im Vorstand reagierte dieser skeptisch. Besonders die Kollegiumsvertreter hatten gemischte Erfahrungen mit dem Elternrat und setzten hinter dessen Arbeit ein großes Fragezeichen. Inzwischen hat sich die Mitarbeit bewährt, wir haben Vertrauen zueinander gefasst. Heute ist diese Art der Zusammenarbeit in der Satzung festgeschrieben.

Als nächstes fragten wir die Konferenzleitung, ob Elternvertreter nicht an den Konferenzen teilnehmen könnten. Das stieß auf Unverständnis. Bei einem Treffen mit dem Leiter der Internen Konferenz wurde liebevoll, aber mit unmissverständlicher Signalwirkung die Frage gestellt: »Was wollen Sie denn in den Konferenzen? Dort arbeiten die Lehrer für das Wohl der Schule.« Die Kollegiumsvertreter im Vorstand bewerteten eine Zusammenarbeit jedoch als vorteilhaft. Ein Versuch wurde gewagt: zwei Elternvertreter durften befristet in den technischen und pädagogischen Konferenzen mitreden.

Bewährte sich die Zusammenarbeit, standen »Aufstiegsmöglichkeiten« in die Interne Konferenz in Aussicht.

Den Elternvertretern gelang dieses Kunststück. Heute haben zwei Mitglieder des Elternrates einen festen Sitz in den Konferenzen. Bei der Neugestaltung der Satzung wurde auch diese Zusammenarbeit verankert.

Der Elternrat – nur ein Armutszeugnis für die Schule?

Noch vor zehn Jahren konnte man an unserer Schule folgenden Satz hören: »Wenn der Elternrat in der Schule notwendig ist, ist das ein Armutszeugnis für die Schule.« Die Lehrer- und Elternbereiche sollten strikt getrennt bleiben, es sollten keine Einblicke in das Innere der Schule möglich sein. Heute arbeiten wir auf allen Ebenen vertrauensvoll zusammen: mit den Lehrern, dem Hausmeister, der Geschäftsführung. Eltern übernehmen Verantwortung mit Blick auf das gemeinsame Ganze, dabei entwickelt sich wechselseitiges Verständnis und Interesse.

Dazu schreibt Christoph Strawe in der Januar-Ausgabe dieser Zeitschrift: »Wie Lehrer mit Lehrern und Eltern mit Lehrern an einer Schule zusammenarbeiten, das teilt sich auch den Schülerinnen und Schülern mit und schafft ein Klima, das die Entwicklung von Sozialempfinden und Sozialkompetenz fördert. Selbstverwaltung schafft Räume, in denen Menschen Verantwortung ergreifen und ihre sozialen Fähigkeiten entwickeln können. Daher gehören nicht nur die Führung freier Schulen und Selbstverwaltung zusammen. Die Gesamtgesellschaft wird immer mehr Räume aufgabenorientierter Selbstverwaltung ausbilden müssen, wenn sie zukunftsfähig sein will.«

Welchen Gewinn können Eltern aus der Mitarbeit in der Schule ziehen?

Um diesen Weg gehen zu können, müssen alle Beteiligten sich selbst erziehen. Wenn Menschen aus innerstem Antrieb heraus freiwillig die Arbeit für die Gemeinschaft leisten, werden sie reich beschenkt. Diese ehrenamtliche Tätigkeit ist ein zeitaufwendiges »Hobby«, aber auch gesundheitsfördernd.

»Man fängt an, besser mit dem Herzen zu sehen, wenn man mit dem Herzen handelt! Die eine Folge davon ist, dass man alsbald noch mehr entdeckt, was zu tun wäre. Die andere Folge lässt sich wunderbar an Eltern, Lehrern und auch Schülern beobachten: sie beginnen, Anregungen für ihr persönliches Leben aus dem zu ziehen, was sie da tun; ihr Leben wird gesünder dadurch. Wissenschaftlich nennt man das heute Salutogenese«, sagte unser Schularzt Klaus Hadamovsky bei seiner Würdigung des Ehrenamtes auf der letztjährigen Mitgliederversammlung unserer Schule.

Wer eine Schule wirklich mittragen will, muss sich auch mit der Anthroposophie und den pädagogischen Ideen auseinandersetzen, die der Waldorfschule zugrundeliegen. Dafür müssen Entwicklungsräume geschaffen und angeboten werden. Sonst gibt es eine Kluft zwischen den verschiedenen Gruppen. Es bedarf aber unbedingt der gegenseitigen Anerkennung aller Menschen an einer Schule zum Wohle der Kinder.