Elterlicher Ehrgeiz. Nachhilfeunterricht an Waldorfschulen – Zahlen und Fakten

Jürgen Peters

Wie sieht demgegenüber die Nachhilfesituation an Waldorfschulen aus? In der 2012 von Randoll, Liebenwein und Barz veröffentlichten Waldorfschülerstudie liegen die Prozentwerte ebenfalls höher: Von den 827 befragten Schülerinnen und Schülern erhalten demnach mehr als 24 Prozent regelmäßig und weitere 22 Prozent gelegentlich Nachhilfeunterricht. Das heißt, dass fast die Hälfte der Schüler mindestens zeitweise Nachhilfe in Anspruch nehmen. Dabei fällt der größte Anteil in den Bereich Mathematik (46%), Englisch (35%) und weitere Fremdsprachen. Quereinsteiger nehmen dabei den Nachhilfeunterricht deutlich häufiger in Anspruch (53%) als Schüler und Schülerinnen, die ab der ersten Klasse die Waldorfschulen besuchen (41%). Da der Prozentsatz derjenigen, die das Abitur anstreben, mit fast 72 Prozent recht hoch ist, ist zu vermuten, dass auch ehrgeizige Ziele von Eltern in Bezug auf die Abschlüsse wesentlich zu dem hohen Anteil an Nachhilfe beitragen. Dies scheint vor allem die Quereinsteiger zu betreffen. Als Hauptgrund für den Nachhilfeunterricht werden von Seiten der Waldorfschüler »Lücken aus früheren Schuljahren« angegeben (73%). Als weitere Gründe werden mangelnde Begabung für das Fach (53%) sowie eine unangemessene Stoffvermittlung (53%) genannt. Für das Fach Mathematik sind an Waldorfschulen geschlechtsspezifische Unterschiede feststellbar, die sich weitgehend mit den Befunden anderer Schulformen decken. Von den Waldorfschülerinnen, die Nachhilfe nehmen, entfallen 56 Prozent auf das Fach Mathematik. Bei den Jungen sind dies dagegen nur 36 Prozent. Allerdings ist auch die andere Seite der Medaille nicht außer Acht zu lassen: 18 Prozent der Waldorfschüler­innen fühlen sich im Fach Mathematik unterfordert (Jungen: 27%). Dies deutet darauf hin, dass das eigentliche Problem in der großen Spannweite der Leistungsfähigkeit innerhalb der Waldorfklassen liegen dürfte.

Speziell bezogen auf die Mathematik hat die jüngste Studie »Bürgerkompetenz Rechnen« (Die Zeit, Forsa 2013) zutage gefördert, dass es generell um die Rechenfähigkeiten der 18- bis 65-Jährigen in Deutschland nicht gut bestellt ist. Die Ursachen dafür sind aus Sicht der Forscher allerdings nicht in der Dummheit der Befragten zu suchen, sondern eher darin, dass es im Fach Mathematik während der Schulzeit zu wenig Praxisbezug gab: Zu viel höhere Mathematik und zu wenige Themen aus dem Lebensalltag. Die Ursache für den hohen Nachhilfebedarf im Fach Mathematik ist daher also nicht unbedingt nur bei den Schülern zu suchen.

Zum Autor: Dr. Jürgen Peters ist Lehrkraft für besondere Aufgaben im Fachbereich Bildungswissenschaft an der Alanus Hochschule in Alfter.