Unterwegs zu einer männlichen Präsenzkultur

Ulrich Meier

Ob Jörg Asmussen die in Aussicht genommene Führungsposition bei der KfW-Bank tatsächlich wegen Meinungsverschiedenheiten über einen Wochentag Präsenz am Wohnort der Familie nicht angetreten hat, mag dahingestellt bleiben. Seine Person und das von ihm formulierte Anliegen, mehr Zeit als Vater bei der Familie zu verbringen, hat jedenfalls zwiespältige Kommentare hervorgerufen.

Andrea Rexer findet es peinlich, dass ausgerechnet im staatseigenen Unternehmen weniger Verständnis für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu herrschen scheint, als bei Microsoft Deutschland, wo die Präsenzpflicht vollständig abgeschafft worden ist: »Die Mitarbeiter arbeiten, wo und wann sie wollen, Hauptsache, die Arbeit wird getan« (Süddeutsche Zeitung, 18.12.2015). Georg Meck zieht da­gegen in seinem Kommentar hämisch über »die tollen Vollblut-Papis und -Mamis« her, »die vorrangig an der Abrundung des Familienidylls werkeln«. Er vermutet, »dass die Kollegen es nicht lustig finden, wenn sie einspringen müssen« (FAZ, 20.12.2015).

Damit sind zwei Grundthemen benannt, die alle neun von mir für diesen Beitrag befragten Väter im Alter von 31 bis 61 Jahren in puncto Vereinbarkeitsproblematik beschäftigen: Wie kann sich das Verständnis für die Belange von Familienvätern am Arbeitsplatz und im gesellschaftlichen Umfeld verbessern? Und welche Wege können aus eigener Initiative gefunden werden, um die Quantität und Qualität der Präsenz als Vater in der Familie zu steigern?

Wunschväter – Väterwünsche

Meine kleine Umfrage unter Vätern, die ich persönlich kenne, ist natürlich nicht repräsentativ, sondern setzt lediglich einige Streiflichter, wie Väterlichkeit aktuell gelebt wird und welche Widerstände und Chancen dabei erlebt werden.

Beginnen will ich mit der Frage der Vatervorbilder: Die Mehrzahl der Befragten haben eine Anteil nehmende und zugewandte Präsenz ihres eigenen Vaters in der Familie mehr oder weniger entbehrt. Einer schreibt dazu: »Eine tiefe seelische Beziehung hatten und haben wir bisher nicht.« Ein anderer schildert die Art, wie er seinen Vater erlebt hat, folgendermaßen: »Als passiv, wenig präsent. Wenig Vorbild. Wenig Beziehung. Wo ist er?« In der vorangegangenen Generation wäre die Vereinbarkeitsfrage von den Vätern wohl auch überwiegend mit Achselzucken quittiert worden, galt doch die Familie vornehmlich als Gestaltungsraum der Mütter, in dem den Vätern eine mehr oder weniger positive Gastrolle zugedacht war. Die zeitaufwändige Berufsarbeit der Männer diente dem Ausfüllen der exklusiv väterlichen Aufgabe: der Ernährer-Rolle. Von den wenigen Vätern, die als Söhne darüber hinaus eine gelungene Vaterbeziehung erfahren haben, schreibt mir einer: »Mein Vater war in meinem Erleben sehr viel präsent und hat mit mir Sachen gemacht«. Ein anderer drückt es so aus: »Er ist ein feinsinniger, kultivierter Mensch. Die Art, wie er mit mir und meinem Bruder umgegangen ist, bleibt für mich ein Vorbild.«

Diese Väter waren jedoch ganz oder durch günstige Arbeitszeiten vergleichsweise mehr zu Hause als andere Väter ihrer Generation. In den Antworten auf die Frage, wie die Männer ihrerseits die Vaterrolle mit ihren Kindern idealerweise leben möchten, findet sich das Thema Präsenz durchgehend als erste Priorität.

Dazu einige Statements: »Elternzeit war toll. Ich hatte die Möglichkeit, viel Zeit mit der Tochter zu verbringen, Zeit für mich war auch vorhanden. Ich kann Elternzeit jedem nur empfehlen, wenn es geht.« »Ich kann durch die reduzierte Arbeitszeit viel mit meinem Jungen zusammen sein – auch ab dem späten Nachmittag an Tagen, an denen ich arbeite. Ich genieße diese viele Zeit als Vater und ärgere mich auch zwischendurch, so fast gar nicht meine anderen Interessen ausleben zu können. In meinem Hinterstübchen habe ich aber den Gedanken: Ich möchte die relativ kurze Zeit voll ausschöpfen, denn ›bald‹ geht er noch mehr seine eigenen Wege.« Meine Frage, wie er sich als idealer Vater sieht, beantwortet ein anderer Vater: »Freilassend, warm, anwesend, hörend, kümmernd, Spaß machend, vorlesend.« Auf die Rückfrage, was davon am besten klappt, antwortet er: »Anwesend zu sein. Weil ich die Zeit dafür frei machen kann, so wie es mir am besten passt.«

Einer der Väter, der sich vor allem vornimmt, »regelmäßig anwesend und ansprechbar, aber auch ausgeruht« für seine Kinder zu sein, fantasiert dann weiter: »Ich würde am liebsten auch für die Familie von Zeit zu Zeit aus meinem Elfenbeinturm auftauchen und durch Erstaunliches verblüffen – auch die Vater-Rolle ist eine Rolle – und nicht vom Alltag aufgefressen werden.«

Vom Freizeit-Vater zum Erziehungspartner

Nach meiner Wahrnehmung lässt sich in den letzten 15 Jahren beobachten, wie ein pures Freizeit-Vaterbild, das sich überwiegend in einem »mit den Kindern Sachen machen« ausgelebt hat, durch die Zielvorstellung ergänzt wird, als Vater im Alltag »präsent« zu sein. Hier geht es nicht mehr um bestimmte, nach dem alten Rollenbild typisch väterliche Qualitäten, die sich in bestimmten Handlungsmustern auswirken, sondern um eine Art ungerichteter Anwesenheit, die die Väter von heute anstreben. Sie wollen offenbar nicht mehr länger eine Zugabe zur Haupt-Beziehungsperson Mutter sein, sondern, wie es einer der Männer ausgesprochen hat: »Ich glaube, es fängt damit an, dass wir Väter als gleichberechtigte Erziehungspartner ernst genommen werden.« Darüber gibt es – wenigstens teilweise – auch Gespräche unter Vätern. Manche sind aufbauender als andere.

Auch dazu wieder ein paar Stimmen, zunächst eher skeptische: »Jeder denkt wohl von dem anderen: Du machst vielleicht zu wenig mit deiner Familie – oder nicht das Wesentliche.« »Fast immer, wenn die Begegnungen oberflächlich bleiben, kommt Druck und Lähmung ins Spiel, auch von meiner Seite aus. Erst in intensiveren Begegnungen fällt die Scheu, auch Schwierigkeiten einzugestehen.«

Andere erleben den Austausch als Unterstützung der eigenen Bemühung: »Es hilft, von anderen zu hören und zu bemerken, dass jeder in seiner speziellen Situation Wege finden muss.« »Was sich dabei immer wieder zeigt, ist, wie wichtig es den Vätern ist, die wenige Zeit mit ihren Kindern intensiv nutzen zu können und dies auch zu tun.«

Einer der Männer bringt zum Ausdruck, dass sich mit der Öffnung des Vaterbildes für eine alltägliche Präsenzkultur die Unsicherheit von Frauen und Männern bezüglich der Vaterrolle verstärken könnte: »Insgesamt scheint es nötig, dass der Einzelne wie auch die Gesellschaft eine tragfähige, akzeptierte Vorstellung von Männlichkeit entwickeln, um väterlich sein zu können. Nach der Zertrümmerung der alten Rollenbilder herrscht heute große Unsicherheit, bei Männern mehr als bei Frauen.«

Ein anderer schildert ein Erlebnis bei der Anfrage um Unterstützung auf der Behörde, als er sowohl bei der Sachbearbeiterin als auch bei der Partnerin Unverständnis für seine Entscheidung erntet, seine Halbtagsarbeit nicht weiter aufzustocken. Abschließend merkt er an: »Nun, die brauchen noch ein bisschen Zeit, um sich daran zu gewöhnen, dass die Männer präsente Väter sein wollen.«

Familie ist kein Hobby

Durch das Streben der Väter nach alltäglicher Präsenz in der Familie stellt sich die Frage neu, wie der bisher getrennt gesehene Gelderwerb »draußen« einerseits und die Familienarbeit der Kinderbetreuung andererseits gesamtgesell- schaftlich angesehen, wertgeschätzt und organisiert werden sollen.

Einer der Väter äußert sich zu dieser Frage ziemlich radikal: »Familie ist kein Hobby, das sich manche halt leisten und dann eben sehen müssen, wie sie damit klarkommen, sondern ist ein von Austrocknung bedrohtes, schützenswertes Habitat in der Gesellschaft.« Die in den letzten Jahren verstärkte Initiative zur garantierten Kinderbetreuung in Krippen, Kitas und Ganztagseinrichtungen mag für viele Eltern als deutliche Entlastung empfunden werden. Die Art, wie diese Hilfe organisiert wird, kann man aber auch kritisch sehen: »Der immer stärkere und immer brutalere Zugriff der Gesellschaft auf den gesamten Lebensraum der Kinder schon im frühesten Lebensalter degradiert die Familie, die Lebensmittelpunkt für die Kinder sein sollte, zur Schlafstelle und Versorgungsinstanz für Wochenende und Ferien.«

Was bisher an Hilfe aus dem gesellschaftlichen Umfeld den Familien angeboten wird, lässt sich jedenfalls weiter ausbauen und individualisieren. Die mir zugesandten Vorschläge zielen auf ein größeres Entgegenkommen innerhalb des Arbeitslebens und auf fortgesetzte politische Initiativen. Hier eine Auswahl: »Deutlich mehr Zeit und Geld für Väter, die sich um ihre Kinder mehr kümmern wollen, nicht nur am Anfang, sondern auch später noch.« »Wenn Frauen wie Männer bezahlt werden würden, würde es bestimmt den einen oder anderen Hausmann mehr geben.« »Eltern sollten das Recht auf Teilzeitarbeit haben – nicht nur im klassischen Sinn (reduzierte Stundenzahl), sondern auch nach neuen Modellen – acht Monate arbeiten, vier Monate nicht – nur als Beispiel.« »Eltern arbeiten generell zu viel – freiwillig oder nicht – ein Grundeinkommen für Erwachsene und Kinder könnte Abhilfe schaffen und ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen.« Schließen möchte ich diesen Abschnitt mit folgendem Votum: »Dass Kinder ein Armutsrisiko in einem reichen Land sind, ist ein Skandal.«

Ist es denkbar, dass sich der wöchentliche Präsenztag von Jörg Asmussen am Ort der Familie positiv auf seine Arbeit für die KfW-Bank hätte auswirken können? – Warum eigentlich nicht? Die befragten Männer haben auch zu der Frage der möglichen positiven Wechselwirkung von Familie und Beruf etwas notiert: »Die Elternarbeit kostet Kraft, aber gibt auch Freude und Energie, die wohl auch meiner Arbeit zugute kommt.« Und, last but not least: »Geld verdienen macht Stress! Arbeiten aber erfüllt.«

Herzlichen Dank fürs Mitmachen an Mathijs van Alstein, Dominik Berner, Andreas Büttner, Rainer Golgert, Martin Kröner, Martin Kühnert, Christoph Meier, Tarik Özkök und Mischa Weggen!

Zum Autor: Ulrich Meier ist staatlich anerkannter Erzieher und Pfarrer in der Christengemeinschaft. Seit Herbst 2006 in der Leitung des Priesterseminars in Hamburg tätig.