Mangas, Anthroposophie, neue und alte Medien auf der Leipziger Buchmesse

Birgit Thiemann

In diesem Jahr präsentierten mehr als 2.000 Aussteller aus 44 Ländern 100.000 Bücher, darunter 20.000 Neuerscheinungen. Die Statistik zeigte mit 163.500 Besuchern einen absoluten Rekord. Keine Frage, dass Unterkünfte und günstige Reisemöglichkeiten seit Monaten ausgebucht und Züge Richtung Leipzig brechend voll sind. Doch wer zum ersten Mal zu diesem Anlass nach Leipzig kommt, wähnt sich mitunter im falschen Film, wenn er am Hauptbahnhof aussteigt und sich am Bahnhofsvorplatz mit einer riesigen Menschenmenge in die Straßenbahn gen Norden drängt: nicht nur die übliche Mischung aus Business-Kleidung und kreativem Chic prägt das Publikum, sondern unzählige Jugendliche mit knallbunten Haaren und Aufsehen erregenden, schrill-farbigen Kostümen. Tatsächlich haben sie das gleiche Ziel, das Gelände der zwanzig Minuten außerhalb des Stadtkerns gelegenen Neuen Messe.

Nachdem die Messe 1998 wegen extremen Platzmangels aus dem alten Messehaus am Markt in der Leipziger Innenstadt umziehen musste, gewährte die Messeleitung originell Kostümierten freien Eintritt. Auf diese Weise sollte junges Publikum an den etwas entlegenen neuen Veranstaltungsort gelockt werden. Die Rechnung ging auf, es hat sich herumgesprochen und so etablierte sich ein beliebter Treff für Manga- und Fantasy-Fans. Heute müssen sie vollen Eintritt zahlen. Aber das schrecke sie überhaupt nicht, erzählt eine der Kostümierten. Sie kommt aus Nürnberg und war auch schon die Vorjahre da, immer in einem anderen Outfit. Dieses Mal sind sie und ihre Freundinnen in die Rollen eines berühmten englischen Kinderklassikers geschlüpft … Bereitwillig posieren sie vor dem großen Wasserbassin des Messegeländes mit der imposanten Glashalle des Architekturbüros gmp im Hintergrund; dann schnappen sie ihre Trolleys und eilen im Laufschritt zum Eingang.

Es irrt, wer denkt, dass sich wie in Frankfurt wochentags vor allem Fachleute auf der Buchmesse tummeln. Ein besonderes Anliegen der Veranstalter ist es, auch das junge Publikum an das Buch heranzuführen. So wundert es nicht, dass die Messe ein beliebtes Ziel für Schulausflüge darstellt. Unter den Gästen des ersten Messetags sind auch 53 Schüler und Schülerinnen der Magdeburger Waldorfschule. Unerschrocken bieten sie am Gemeinschaftsstand von Info3 und der Pädagogischen Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen – ganz im Geiste der ursprünglichen Idee einer Monatsfeier – Kostproben aus dem Unterricht der 9., 10. und 11. Klasse: eigene Kurzgeschichten sowie Lyrik, die in Auseinandersetzung mit Herrmann Hesses Gedicht Stufen entstanden ist. Ganz selbstverständlich lesen einige Schüler ihren Text vom Handy ab. Da ist der Schritt zur Smartphone-Lesung nicht mehr weit, die dieses Jahr auf der Messe ihre Premiere feiert. Das Publikum hört Kurzprosa junger Autoren und Autorinnen über Kopfhörer und kann den Wortlaut dank einer App (Snippy) auf dem eigenen Smartphone mitverfolgen. Die Idee ist, auf diese Weise die vom deutschen Buchmarkt verdrängten Literaturgattungen Lyrik und Kurzprosa wieder einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Wer das klassische Lyrik- und Kurzgeschichtsbändchen zum Anfassen vorzieht, der ist besser beim hochroth verlag aufgehoben. Der Verlag versteht sich als gemeinnütziger Literaturvermittler, die Herstellung der in Handarbeit und Kleinstauflagen erstellten Bändchen erfolgt ehrenamtlich, der Vertrieb via Bauchläden und Bücherstände zum Selbstkostenpreis. Der Gewinn liegt für die Beteiligten in dem entstehenden Netzwerk, das sich inzwischen in Berlin, Leipzig und Wien auszubreiten beginnt (vgl. www.hochroth.de)

Sucht man nach Schwerpunkten dieser Buchmesse, so ist deutlich das Thema Bildung auszumachen. Unter der Fragestellung »Lesen, aber was« wurde eigens der Leipziger Lesekompass entwickelt, der Lehrern und Lehrerinnen (und sicher auch Eltern) Lektüreempfehlungen für verschiedene Altersstufen geben will (www.leipziger-lesekompass.de). Ferner wird ein umfangreiches Fortbildungsprogramm zum Thema Bildung veranstaltet und mit Unterstützung des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung ein Schulbuchpreis in verschiedenen Sparten ausgelobt.

Ein spannendes Beispiel präsentierte Christian Boettger, Leiter der Pädagogischen Forschungsstelle, mit dem Lehrbuch der phänomenlogischen Chemie (Bd.1) des Basler Chemikers Dr. Ulrich Wunderlin. Das Grundanliegen selbst, die Inhalte mittels der Alltagserfahrung der Schüler ins Bewusstsein zu rücken, erstaunt aus waldorfpädagogischer Sicht nicht – neu ist jedoch die komplette Nachvollziehbarkeit des Unterrichtes in Buchform, begleitet von mehreren DVDs und dem Wunsch, nicht nur eine Anleitung für Lehrer, sondern ein Waldorfschulbuch für Schüler und – so der Autor – Eltern gleichermaßen zu liefern.

Mit der zweiten Buchpräsentation der Pädagogischen Forschungsstelle sprach Christian Boettger ein Thema an, das in den nächsten Jahren die gesamte Bildungslandschaft stark beschäftigen wird: die schulische Inklusion von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf.

Wer sich einen roten Faden durch das Dickicht der Veranstaltungen wünschte, war mit dem kleinen, ambitionierten Veranstaltungsprogramm der anthroposophischen Verlage Anthroposophie und die Zukunft der Erde. Rudolf Steiner weltweit gut beraten. Neben den bereits genannten waren die Basler Verlage Futurum und Rudolf Steiner sowie der Verlag Freies Geistesleben und Verlag Urachhaus, beide Stuttgart, jeweils mit Doppelständen vertreten. Zwischen deren Lesungen blieb Zeit für eigene Entdeckungen, sei es im Bereich der realen, digitalen, deutsch- oder fremdsprachigen Literatur, dem Bilder-, Kinder-, Kunst- oder Reisebuch, und manch reizvoller Begegnung mit der Manga- und Fantasy-Welt.

Zur Autorin: Birgit Thiemann, Freie Kunsthistorikerin und Lektorin, lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Die Leipziger Buchmesse fand vom 15.-18.3.2012 statt.