Die heimlichen Krankmacher

Peter Hensinger

Noch nie wurde eine Technologie so intensiv körpernah genutzt wie die mobilen Endgeräte Smartphone und Tablet-PC. Unsere Kinder und Jugendlichen sind die erste Generation, die einer lebenslangen Dauerbestrahlung ausgesetzt ist. Ist die gepulste und polarisierte Mikrowellenstrahlung, mit der die mobilen Geräte kommunizieren, gesundheitsschädlich? Kann die Strahlung Krebs auslösen, ist sie mitverantwortlich für viele unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Herzrhythmusstörungen oder Burn-Out, gibt es Elektrohypersensivität (EHS)?

In seinem Buch »Meditieren heilt« schreibt der in Bisingen/Hohenzollern praktizierende Umweltmediziner Harald Banzhaf: »Die Zahl der Menschen, die auf elektromagnetische Strahlen mit unterschiedlichsten Symptomen reagieren, steigt weltweit an. Die Rede ist von Elektrohypersensibilität (EHS). Und wir übersehen dabei, dass alle Säugetiere elektrosensibel sind. Denn nur aufgrund des Zusammenspiels von Elektrophysiologie und Biochemie können wir überhaupt leben. Jede der Billionen Zellen in unserem Körper ist angewiesen auf eine mehr oder weniger konstante Zellspannung.«

Mobilfunkstrahlung stört die Selbstregulation des Zellsystems (Homöostase). Das natürliche elektromagnetische Spektrum, so wie es sich evolutionär entwickelte, ermöglichte die Entstehung von Tieren, Menschen und Pflanzen. Elektromagnetische Felder haben beim Menschen hinsichtlich der Zell-, Gehirn- und Herzaktionsströme also eine lebensentscheidende Bedeutung. Damit zählen diese Felder zu den natürlichen Lebensgrundlagen. Mobilfunkstrahlung funkt gerade in den Frequenzen, in denen die Zellkommunikation stattfindet. In den Frequenzen, in denen heute der Mobilfunk, also Sendemasten, WLAN-Hotspots, Smartphones, Tablet-PCs und WiFi-Spiele »funken«, gab es vorher auf der Erde fast keine Umgebungsstrahlung. Der Mensch mischt sich mit der künstlich erzeugten Strahlung also in natürliche Abläufe ein. Sie wirkt auf die Zellen als Störstrahlung und führt zu oxidativem Zellstress, einer Ursache vieler Krankheiten (Böhles 1995, Dasdag et al. 2016, Houston et al. 2016, Yakymenko et al. 2015)

Das Krebs auslösende Potenzial

Die Dokumentation »Späte Lehren aus frühen Warnungen: Wissenschaft, Vorsorge, Innovation« (2012) der Europäischen Umweltagentur, der höchsten wissenschaftlichen Umweltbehörde der EU, stuft den Mobilfunk als Risikotechnologie ein und behandelt in einem eigenen Kapitel das Gehirntumorrisiko. Die EUA warnt vor einer Wiederholung der Geschichte von Stoffen wie Asbest, PCB oder verbleitem Benzin. Die Studienlage ist besorgniserregend. 2011 gruppierte die IARC, die Krebsagentur der WHO, die nichtionisierende Strahlung in die Gruppe 2B »möglicherweise krebserregend« ein. Seit 1990 haben über 80 Studien DNA-Strangbrüche (Erbgutveränderungen) durch elektromagnetische Strahlung im Bereich der Mobilfunkfrequenzen nachgewiesen. Groß angelegte Studien der österreichischen AUVA-Versicherung (ATHEM-Report 2009 & 2016) und der US-Gesundheitsbehörde (NTP-Studie 2016) bestätigen das Krebsrisiko (ATHEM-2, 2016). Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht eine Krebs promovierende Wirkung als gesichert an (Lerchl u.a., 2015).

Die Zellschädigungen treten unterhalb der Wärmeschwelle ein, sind nicht-thermisch verursacht, also weit unter den Grenzwerten. Neueste Forschungsergebnisse über die Handynutzung bei Vieltelefonierern über mehr als 20 Jahre zeigen ein bis zu 5-fach erhöhtes Krebsrisiko (Hardell u.a., Hardell Carlberg 2012). Doch es bleibt nicht bei Erkenntnissen im Labor: In Italien hat das höchste Gericht in Rom einem Angestellten bestätigt, dass sein Hirntumor vom Dauertelefonieren kommt und ihm eine Entschädigung zugesprochen.

Der WLAN-Skandal

Kinder und Jugendliche sind vor allem über die dauerstrahlenden Apps und das Surfen über WLAN schädigender Strahlung ausgesetzt. Im Springer Reference-Book »Systems Biology of Free Radicals and Antioxidants« wird in dem Bericht »Effects of Cellular Phone- and Wi-Fi-Induced Electromagnetic Radiation on Oxidative Stress and Molecular Pathways in Brain« (Naziroglu/Akman 2014) darauf hingewiesen, dass auch schwache WLAN-Strahlung gesundheitsschädlich ist.

Es kann als Skandal angesehen werden, dass trotz dieses Reviews auf höchster wissenschaftlicher Ebene – in einer State-of-the-Art-Publikation – die Bundesregierung mit ihren Plänen zur »Digitalen Bildung« alle Schulen mit WLAN ausstatten will.

Eine Studie in den Scientific Reports, herausgegeben von der Nature-Gruppe, weist zudem nach, dass die WLAN-Frequenz bei einer »niedrigen« Strahlungsbelastung von 8000 µWatt/m2 bereits nach 4,8 Minuten Einwirkung zu irregulären Reaktionen an der Zellmembran führen kann, verursacht durch die Polarisation der Strahlung (Panagopoulos u.a., 2015, Scheler 2016).

Zellen im Strahlenstress

Die nichtionisierende Strahlung des Mobilfunks ist an vielen Krankheiten beteiligt, weil sie eine Überproduktion von freien Radikalen und dadurch oxidativen Zellstress auslöst. Verschiedene entzündliche Schädigungen in den Zellen können dadurch hervorgerufen werden. In der bisher größten Studie mit dem Titel »Oxidative Mechanismen der biologischen Aktivität bei schwachen hochfrequenten Feldern« hat eine renommierte internationale Forschergruppe um Igor Yakymenko (Kiew) 100 Studien aller Mobilfunk-Frequenzbereiche ausgewertet. Davon weisen 93 nach, dass elektromagnetische Felder in verstärktem Maße stark reaktive Sauerstoffmoleküle erzeugen. Die Forschergruppe schreibt: »Schlussfolgernd zeigt unsere Analyse, dass Hochfrequenzstrahlung niedriger Intensität ein starker oxidativer Wirkungsfaktor für lebende Zellen ist mit einem hohen krankheitserregenden Potenzial« (Yakymenko u.a., 2016).

Die oxidativen Schädigungen würden schon tausendfach unterhalb der Grenzwerte auftreten. Diese Schädigungskaskade ist inzwischen gesichertes Wissen und muss in die Diagnose vieler unspezifischer Symptome mit unklarer Ursache einbezogen werden. Ärzte berichten, dass eine Deexposition, zum Beispiel die Entfernung des DECT-Telefons und von WLAN aus der Wohnung, oft ein wichtiger Schritt zur Heilung ist. In der Presse wird oft über eine widersprüchliche Studienlage berichtet. Das ist auch bei Glyphosat, Fracking, war bei Atomkraft und Rauchen so. Mit Industriegeldern finanzierte Studien werden eingesetzt, um die Risiken zu verharmlosen (Starkey 2016, AUVA 2016).

Wirkung auf die Reproduktionsorgane und die Fruchtbarkeit

Besonders eindeutig ist die Studienlage zur Wirkung auf die Reproduktionsorgane. Über 50 Studien weisen die Schädigung der männlichen Spermien nach: Verminderte Fruchtbarkeit, Unfruchtbarkeit sowie Folgeschäden bei Neugeborenen. Negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Embryos weisen 70 Studien nach. Die Verbraucherschutzorganisation »Diagnose:funk« hat dies in dem Brennpunkt »Smartphones & Tablets schädigen Hoden, Spermien und Embryos« (2016) dokumentiert.

Die Studienergebnisse zur Fertilität sind brisant, denn Smartphones und TabletPCs werden vor allem in der Nähe der Fortpflanzungsorgane genutzt: der Laptop auf dem Schoß, das Smartphone in der Hosentasche. Deshalb empfiehlt die Österreichische Ärztekammer in ihren zehn Handyregeln: »Bei Verwendung von Headsets oder integrierter Freisprecheinrichtung Handys nicht unmittelbar am Körper positionieren – besondere Vorsicht gilt hier für Schwangere. Bei Männern sind Handys in der Hosentasche ein Risiko für die Fruchtbarkeit« (aekwien.at).

Behandlungsleitlinien bei Elektrohypersensivität (EHS)

Trotz weit über 700 Studien, die biologische Effekte nachweisen, ist der Kenntnisstand über die Wirkungen der Mobilfunkstrahlung immer noch lückenhaft. In den meisten Studien wird die Wirkung nur einer Frequenz untersucht, doch real sind wir einem Frequenzmix von GSM, UMTS, LTE und WLAN ausgesetzt. Die Kombinationswirkung mit anderen Umweltgiften wie Amalgam, Stickoxiden, Feinstaub, Blei, Glyphosat, Aluminium, Fluoriden, Cadmium und Weichmachern ist so gut wie nicht erforscht.

Je nach Vorbelastung und dem Zustand des Immunsystems wirken elektromagnetische Felder (EMF). Zur Elektrohypersensivität liegt seit 2016 erstmals eine gründliche Aufarbeitung des Forschungsstandes und ärztlicher Behandlungserfahrung vor. Die Europäische Akademie für Umweltmedizin (EUROPAEM-European Academy for Environmental Medicine) hat die »EUROPAEM EMF-Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten« veröffentlicht.

Die Leitlinie stellt den aktuellen Stand der Forschung zu den Risiken der niederfrequenten und hochfrequenten elektromagnetischen Felder dar sowie den bisherigen Stand der Forschung zur Elektrohypersensitivität und gibt Empfehlungen, wie Ärzte EHS diagnostizieren und behandeln können.

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche verändert einschneidend den Gesundheitszustand der gesamten Bevölkerung. Der Technologie-Hype überdeckt die Risiken. Eltern und Lehrer als Vorbilder sind herausgefordert, unsere Kinder vor der Schädigung durch Smartphones und Tablets zu schützen. Und noch mehr wäre der Gesetzgeber gefragt, der bisher leider nach der Pfeife der Konzerne tanzt.

Diagnose:funk klärt als unabhängige Verbraucherschutzorganisation über die Risiken auf und schlägt Alternativen vor.

Zum Autor: Peter Hensinger leitet bei der Umwelt- und Verbraucherorganisation »Diagnose-Funk e.V.« den Bereich Wissenschaft. Kontakt: peter.hensinger@diagnose-funk.de

Links: www.diagnose-funk.de | www.mobilfunkstudien.de | www.aekwien.at 

Literatur: M. Blank: Overpowered. What science tell us about the dangers of cellphones and other WiFi devices, New York 2014 | L. Cross / B. Neumann: Die heimlichen Krankmacher. Wie Elektrosmog und Handystrahlen, Lärm und Umweltgifte unsere Gesundheit bedrohen, München 2008 | P. Hensinger / I. Wilke: Mobilfunk: Neue Studienergebnisse bestätigen Risiken der nicht-ionisierenden Strahlung, umwelt-medizin-gesellschaft 3/2016 | S. Kiontke: Tatort Zelle. Wie Elektrosmog-Attacken unseren Organismus bedrohen, Münsing 2014

Weitere Literaturhinweise und Artikel unter: www.diagnose-funk.org 

Ausführlicher Quellennachweis: www.diagnose-funk.org/newsid=1164