Nach den Winterferien steht die nächste Rechenepoche an. Der Stoff der vorangegangenen Epochen soll vertieft und erweitert werden. Wir wollen das kleine Einmaleins weiter üben, den Zahlenraum bis Tausend erweitern, die schriftliche Addition und Subtraktion und das Rechnen mit Maßeinheiten, etwa Euro und Cent einführen.
Spielerisch und lebensnah lernen
Wir nähern uns dem Rechnen spielerisch. Der rhythmische Teil des Unterrichts bietet zahlreiche Gelegenheiten dafür. Wir achten darauf, dass möglichst viele Kinder in Bewegung sind und dabei immer wieder die einzelnen Rechenvorgänge und Ergebnisse rhythmisieren und visualisieren. Einzeln und mit der gesamten Klasse werden Reihen und das Einmaleins laut gesprochen. Ein Zahlenteppich von Eins bis Einhundert, Reissäckchen, Seile zum Seilspringen, zahlreiche Klatsch-, Bewegungs- und Stuhlkreisspiele erleichtern das Lernen. Unser Anspruch an die Rechenepoche ist, dass der Stoff auf einfache, praktische Dinge des Lebens angewendet wird. Der Unterricht soll so nahe wie möglich am wahren Leben stattfinden.
Dabei greifen wir unter anderem auf einen Vorschlag zurück, den wir im »Waldorf-Ideen-Pool« gefunden haben. Auf einem Elternabend berichten wir über unsere geplanten Vorhaben: einen Flohmarkt in der Klasse, einen Einkauf des täglichen Frühstücks für die Kinder und einen Besuch auf dem Wochenmarkt in Kaiserslautern.
Kurz darauf informieren wir auch die Kinder über die geplanten Aktivitäten, und ihre Frage: »Mit welchem Geld?« beantworten wir mit dem Verteilen von Spielgeld. Damit üben wir in den nächsten Tagen das Wechseln von Euro und Cent und umgekehrt, in dem wir Wechselstuben mit dem Platznachbarn eröffnen. Über das Kopf- und Kettenrechnen üben wir an der Tafel und in den Heften das schriftliche Addieren und Subtrahieren. Regelmäßig kehren wir zu den Marktbeispielen zurück, damit die Kinder mit dem Addieren und Substrahieren vertraut werden.
Flohmarkt und Frühstückseinkauf – Testlauf für den Ernstfall
Vor dem Flohmarkt vereinbaren wir mit Kindern und Eltern Spielregeln. Jedes Kind erhält für den Flohmarkt 50 Euro Spielgeld, der maximale Preis je Artikel ist auf zehn Euro begrenzt, die Artikel sind mit Preisen ausgezeichnet, und es müssen alle Verkäufe und Käufe in das Übungsheft notiert werden, um nachher durch schriftliches Summieren und Subtrahieren alles nachvollziehen zu können. Zu der Vereinbarung gehört auch, dass es einen realen Eigentumsübergang gibt, dass wir jedoch nicht mit echtem, sondern mit Spielgeld bezahlen.
Nachdem der Markt offiziell eröffnet ist, sind viele Kinder schnell beim Einkaufen und Verkaufen dabei. Andere warten zunächst noch ab und überprüfen die Angebote der einzelnen Stände. Mit viel Elan und Ernsthaftigkeit werden die Waren gehandelt, manchmal auch gefeilscht wie auf einem Basar. Der Klassenlehrer und sein Praktikant müssen nur selten eingreifen, um einzelne Kinder zu unterstützen – sie agieren im Hintergrund, wo sie die Bank und Wechselstube betreiben, in der die Kinder Geld tauschen können. Nach gut einer Stunde lässt die Aktivität langsam nach. Alle Kinder sind stolz auf ihre neu erworbenen Artikel und freuen sich über ihre Verkäufe. Das Übungsheft mit ihren Eintragungen über Käufe und Verkäufe dient in den nächsten Tagen als Vorlage für die weiteren Übungen. Der Flohmarkt ist nicht nur ein Übungsfeld für das schriftliche Addieren und Subtrahieren, sondern auch für das Kopf- und Kettenrechnen. Ganz nebenbei wird durch das Aufschreiben auch Letzteres geübt. Der Einkauf für das Frühstück funktioniert ähnlich: Die Kinder kaufen sich mit Spielgeld aus den tags zuvor vom Lehrer erworbenen Lebensmitteln, was sie essen wollen. Flohmarkt und Frühstückseinkauf dienen als Vorbereitung für das Rechnen mit echtem Geld, unsere nächste Station.
Wir machen den Wochenmarkt in Kaiserslautern unsicher
Für den Wochenmarkt in Kaiserslautern haben wir vereinbart, dass die Eltern mit ihren Kindern einen Einkaufszettel für Waren im Wert von zehn Euro vorbereiten, und ihnen eine Tasche und zehn Euro mitgeben sollen. Eine Begrenzung auf zehn Euro legen wir fest, um zu vermeiden, dass zu viele Dinge gekauft und die Taschen zu schwer werden.
Nach dem Hauptunterricht fahren wir auf den Wochenmarkt nach Kaiserslautern. In einer gemeinsamen Marktrunde erkundigen wir uns zunächst, wo wir welche Waren kaufen können und wie groß der Markt ist. Wir legen einen zentralen Platz fest, an dem immer ein Erwachsener als Anlaufstelle dient, und wir erinnern an die in der Klasse vereinbarten Spielregeln (Marktplatz nicht verlassen, Toilettengänge …).
Als es dann losgeht, finden sich die Kinder schnell in Kleingruppen zurecht und flitzen über den Wochenmarkt. Ihr Enthusiasmus überträgt sich auf einige, meist ältere Passanten, sowie auf zahlreiche Marktstände, und unser Praxistest wird zu einem kurzweiligen vergnüglichen Einkaufserlebnis für alle Beteiligten. Lehrer und Praktikant bleiben im Hintergrund, lediglich ab und zu halten sie die Kinder an, beim Berechnen der Preise mitzurechnen, die einzelnen Preise in ihr Übungsheft zu notieren und das Wechselgeld zu überprüfen. Schließlich soll jedes Kind erläutern können, was gekauft wurde, wie viel Geld es kostete und wie viel Geld rechnerisch nach dem Marktbesuch noch übrig sein muss. Auch die Marktbeschicker finden rasch Gefallen am Eifer der Kinder und unterstützen deren Einkaufs- und Rechenbemühungen gerne.
Nach und nach kommen die Kinder in ihren Kleingruppen zurück. Die Einkaufstaschen sind gefüllt und die Listen zum größten Teil abgearbeitet. Stolz beginnen die Kinder, im Bus von ihren Abenteuern zu berichten. An welchem Marktstand gab es was zu kaufen? Wo hat man sogar noch etwas dazubekommen? Wer hat noch Geld übrig und durfte sich noch etwas davon kaufen?
Jedes Kind hat seine Einkäufe getätigt, konnte selber nachrechnen und nachzählen, und durchlebte so die Anwendung des Rechnens an einfachen, praktischen Dingen des Lebens. Wie wir die Frage der Kinder beantwortet haben, ob wir das Ganze zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen wollen, können Sie sich sicherlich denken …
Zu den Autoren:
Reinhard Schönherr-Dhom, seit 1991 Klassenlehrer an der Freien Waldorfschule Westpfalz/Otterberg.
Andreas Brodersen absolvierte während dieser Rechenepoche ein Praktikum.