Mit Herz und Verstand gegen Hänseleien. Deutschlandweites Schüler-Streitschlichter-Treffen in Marburg zum Thema Mobbing

Von Anke Bäumker, Dezember 2010

Zu schlichten gab es wenig beim zweiten Streitschlichterkongress für Schüler an Waldorfschulen in Marburg, dafür umso mehr zu lernen. Siebzig Jugendliche aus ganz Deutschland sowie zehn Erwachsene, Begleiter, Ausbilder an den Schulen und Vereinsmitglieder wollten sich zwei Tage lang austauschen, fortbilden und ihre Arbeit weiter entwickeln.

Viele der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler hatten Mobbing beobachtet oder sogar im direkten Umfeld erfahren. Mobbing erschreckt und macht erstmal hilflos. Durch die Vorträge von Angelika Ludwig-Huber aus Karlsruhe und durch Übungen, die die Auswirkungen und gefühlten Ausweglosigkeiten in Mobbingsystemen deutlich nachvollziehbar machten, konnten wir erkennen, dass es nicht hilfreich ist, in Opfer-Täter-Kategorien zu denken. Die Bedürfnisse sind der Schlüssel zur Auflösung der Situation. Was bedeutet das konkret? Jeder Mensch hat elementare Bedürfnisse, zum Beispiel nach Aufmerksamkeit, nach Wirksamkeit, nach Wertschätzung. Wenn diese Bedürfnisse nicht erfüllt werden, wenn Menschen sich nicht gesehen, nicht geachtet fühlen, fangen sie an, an sich zu zweifeln und verlieren nach und nach ihre Selbstsicherheit. Das kann zu extremen Verhaltensweisen führen – und die sind nicht ge-prägt von besonnenen, souveränen Entscheidungen, sondern von Angst und Stress. Diese Angst engt das eigene Gefühlsleben und das Verhaltensrepertoire ein und verstellt den Blick für die Umwelt. Sich »tot stellen«, flüchten oder angreifen sind typische Angstreaktionen. Wenn man hinter die Kulissen schauen kann, wird man diese ungestillten Bedürfnisse finden. Nicht nur beim Mobbing-Geschädigten, sondern auch beim sogenannten Täter, der durch die Schikane auf schreckliche Art versucht, seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Durch eine einfache, sinnvolle Abfolge von Schritten kann dieses Reaktionsmuster durchbrochen werden:

• offene Ohren und Augen für die Betroffenen. Es geht nicht um Sanktionen und Strafen, sondern darum, einen geschützten Rahmen zu bieten. Wer Mobbing erleidet, braucht sicheren Rückhalt ebenso wie derjenige, der mobbt. Allerdings: Zuhören heißt nicht zustimmen!

• Jede Form von Gewalt wird sofort unterbunden in Form einer klaren Ansage an den Ausübenden. Klarer Hinweis, dass man gemeinsam heraus finden will, was zu diesem Verhalten geführt hat.

• Behutsame Auflösung eingefahrener Rollenmuster und Verstrickungen. Nichts in diesem Prozess darf ohne die Zustimmung desjenigen, der sich der Gewalt ausgesetzt sieht, geschehen. Er muss wissen, wo die Arbeit steht, um Vertrauen in den Prozess und absolute Sicherheit zu haben.

• Empathie fördern und gemeinsam lernen, die Situation neu zu gestalten.

• Das Umfeld mit einbeziehen, es stärken und sensibilisieren. Das bedeutet nicht das Ende eines gelösten »Mobbing­falles«, sondern jetzt beginnt erst die eigentliche Prävention!

Website für Betroffene

Derart mit Grundlagenwissen ausgestattet, landete ich in der Arbeitsgruppe »Internetauftritt«. Na, mal gucken, was die Jungs da vorbereitet haben, denke ich mir. Unglaublich: Da steht schon ein durchdachtes Konzept mit ersten Vorschlägen für das Layout. Wir diskutieren eifrig und wägen unterschiedliche Aspekte ab. Ansprechen wollen wir Jugendliche in ganz Deutschland, die Unterstützung suchen. Ob sie nun Informationen darüber suchen, was Mobbing überhaupt ist und wie man es erkennen kann, oder ob sie in Konflikte oder Mobbing involviert sind und jemanden suchen, der ihnen vermittelnd zur Seite steht. Fragen werden bewegt, zum Beispiel: Wie garantieren wir, dass Mobbing-Betroffene schnell und kompetent beraten werden? Was ist technisch möglich und wo grenzen wir uns ausdrücklich von anderen Foren und Gemeinschaften im Netz ab?

Worte allein reichen nicht

Natürlich kann man Mobbing beschreiben und erklären – mit vielen Worten und Umschreibungen, mit Beispielen und erschreckenden Statistiken. Doch welche Ausmaße Mobbing annehmen kann, wie jemand unter den vielen alltäglichen, kleinen und großen fiesen Situationen leiden kann – das versuchen die Kongressteilnehmer in eindrücklichen Filmsequenzen darzustellen. Diese kurzen Videos sollen den Internetauftritt bereichern und plastischer machen, um was es bei Mobbing geht. In allen Arbeitsgruppen wurde fieberhaft gearbeitet – doch fertig geworden sind wir mit unseren Projekten noch nicht. Ein Glück, dass der nächste Kongress, dank der großen Nachfrage, schon vor der Tür steht. Organisiert hat den Kongress der Verein INTEResse e.V. in Kooperation mit der Waldorfschule Marburg. Seit etwa drei Jahren kümmert er sich vor allem darum, die Arbeit von Schülerstreitschlichtern an (Waldorf-) Schulen durch Aus- und Fortbildung zu ermöglichen und zu fördern.

Weitere Informationen unter: www.INTEResse-ev.de

Kommentare

Franz Josef Neffe, Pfaffenhofen, 01.01.11 21:01

Jedes Kind hat mindestens 5000 Kräfte und Talente. Wenn es fünfmal einen Strich krumm gemacht hat, sagen wir ihm: "Du lernst das nie!", dann betriebt es ein Leben lang aufgrund unserer Suggestion die Autosuggestion "Ich kann nicht zeichnen." Wenn es zu singen beginnt und von einer Person, der es vertraute, ausgelacht wird, schämt es sich ein Leben lang dafür, dass es nicht singen kann. Es zieht sein Talent zurück, bringt es in Sicherheit und suggeriert sich ständig die allgemeinen Phrasen, die für das jeweilige Problem kursieren.
Unser ganzes Leben ist Autosuggestion: Tag und Nacht. Wenn ich den Zappelpeter um 3 Uhr in der Früh aufwecke und frage: "Kannst Du stillsitzen?" sagt er: "Nein." Sein Nein zum Stillsitzen, denkt und wiederholt und bekräftigt er selbst, wenn er schläft. Als Ich-kann-Schule-Lehrer ist der Lebensschlüssel Autosuggestion für mich darum besonders wichtig. So wie man damit die Potentiale in den Keller getrieben und dort eingeschlossen hat, so kann man ihnen auch wieder aufschließen, sie erfolgreich hervorrufen und ihnen zu ihrer bestmöglichen Entwicklung und Verwirklichung verhelfen. Autosuggestion ist der Generalschlüssel.
Wenn Du, Hansi, 8 Jahre, Angst hast, zu singen, weil Dich andere auslachten, was willst Du tun, wenn ich mich vor Dich auf den Boden setze und zu Deinem Gesangstalent aufschaue und es bewundere, mich auf es freue, mich klar auf seine Seite stelle und nichts auf es kommen lassen? Wenn ich Deinem Talent sage, wie GUT es ist, dann wird seine GÜTE GESTÄRKT, und dann wächst sie und entfaltet und entweickelt sich und geht unaufhaltsam ihren Weg. Und sie freut sich natürlich über mich, dass ich ihr nicht wie die meisten den Weg verstellt und es ihr schwer gemacht habe. Die Güte aller Deiner Talente wird mich immer mögen, ganz einfach, weil ich sie immer mag. Das bekommt mir ganz ausgezeichnet, dass ich in den Menschen drin oft mehr Freunde habe als sie selbst.
Ja, Du liest ganz richtig: Ich habe Freunde auch in Dir. Und Du?
"Wenn ich mit deinen Kräften & Talenten BESSER umgehe als du, mögen sie mich und folgen mir lieber als dir." sagt der Ich-kann-Schule-Satz 2008. Du siehst, was für großen Einfluss man auf sich selbst und andere gewinnt, wenn man weiß, wie das Gegenteil von Hänseln geht. Wer hänselt, zeigt damit nur seine Ohnmacht. Er muss Dich nach unten drücken, weil er selber unten ist und nicht hoch kann. Wenn Du ihn selbst hochachtest, hast Du bei allen seinen Talenten schon gewonnen. So einfach geht das.
Du siehst, ich kpmmere mich als Ich-kann-Schule-Lehrer fast gar nicht um das Problem.Das ist mir nur ein Wegweiser, der mir zeigt, dass es den zuständigen Talenten schlecht geht. Damit hat das Problem seine Schuldigkeit für mich getan und ich brauche es nicht mehr. Ich wende mich sofort den betroffenen Kräften zu und sorge umgehend dafür, dass es ihnen so gut geht wie noch nie. Das brauche ich schon, damit es mir gut geht. Und dann versuch mal, mich zu hänseln!
Ich grüße freundlich.
Franz Josef Neffe

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