Mit Phantasie gegen Angst und Trotz

Von Maja Bach, November 2016

Proteste beim Anziehen, Generalstreik beim zu Bett gehen und Zusammenbrüche vor dem Süßigkeitenregal – das gehört zum Leben mit kleinen Kindern dazu. Wer von uns hat sein Kind in diesen Momenten nicht schon gedanklich zum Mond geschossen? Aber es geht auch anders – mit Phantasie.

Zuerst versucht man vielleicht, es gelassen zu sehen, wenn das eigene Kind brüllend an der Supermarktkasse die Schlange blockiert. Eine Sekunde wird zur Ewigkeit. Dann macht sich Verzweiflung und Hilflosigkeit breit und kurz darauf kommt auch schon die Wut. »Wenn Du nicht sofort aufhörst, dann …« – ein Standardsatz, der unsere erzieherische Notlage bloßlegt.

Dabei müssen wir gar nicht erst an diesen Punkt gelangen. Denn diese scheinbar schwierigen Situationen lassen sich mit ein wenig Phantasie lösen.

Im Alter zwischen drei und sieben Jahren sind unsere Kinder im sogenannten magischen Alter. In dieser Zeit leben sie in einem stark ausgeprägten Bilderbewusstsein, die Grenzen zwischen Realität und Phantasie sind (noch) offen.

In der kindlichen Vorstellung ist alles möglich: Was es sich auch wünscht, denkt oder erträumt – Schönes, aber auch »Schreckliches« – kann in seiner Vorstellung Wirklichkeit werden. Fachleute sprechen von einer in sich stimmigen »magischen Logik«: Dinge und Geschehnisse werden von dem Kind nicht in rationaler Weise gedeutet und erklärt. Viele alterstypische Ängste und Befürchtungen, aber auch freudige Überraschungen und Erwartungen haben hier ihren Ursprung.

Feen, Monster und Zwerge gibt es in der kindlichen Vorstellung tatsächlich. Der Weihnachtsmann, das Christkind und der Osterhase sind die klassischen Beispiele für diese Art von Phantasie. Kinder sehen diese Gestalten aber nicht nur, sie erleben in ihrem Spiel oft die unglaublichsten Abenteuer mit ihnen. Dieses Bilderbewusstsein sollte man ihnen nicht nehmen, im Gegenteil, man sollte es ernst nehmen und fördern.

Das magische Alter ist für die Entwicklung des Kindes deshalb wichtig, weil es dadurch Angst, Freude oder Wut personifiziert ausleben kann. Wer kennt nicht die stundenlangen Rollenspiele der Kinder, in denen sie sich anhand von Phantasiegestalten in das soziale Leben »einüben«? Oft entwickeln sie mit diesen Phantasiefiguren ihre eigene magische Sprache.

Der Wutzwerg ist wieder da

Ihr Kind liegt also brüllend vor dem Süßigkeitenregal an der Kasse. Stellen sie sich vor, der Wutzwerg säße zwischen den Leckereien und würde mit Schokoriegeln schmeißen und gemeine Grimassen schneiden. In einem solchen Fall würden sie ihr Kind beschützen und es in ihre Arme schließen. Tun sie das. Wenn es sich etwas beruhigt hat, können sie es mit auf die Phantasiereise nehmen. »Ist der Wutzwerg wieder da? Gerade saß er noch im Regal. Kannst Du ihn ent­decken?« Ihr Kind wird abgelenkt sein. Die Jagd nach dem Zwerg kann sie jetzt Stück für Stück aus dem Supermarkt lotsen.

Ein anderes Beispiel ist der Sonntagsspaziergang. Ihr Kind will nicht mehr laufen und sinkt verzweifelt schreiend ins Gras. Stellen sie sich vor, wie der Wutzwerg an den Armen und Beinen ihres Kindes zerrt, um ihm das Laufen schwer zu machen. Nehmen sie ihr Kind in den Arm und erzählen sie ihm von dem Zwerg. »Sollen wir ihn abschütteln?« Zappeln sie lustig mit Armen und Beinen, um mit ihrem Kind den Wutzwerg abzuschütteln. »Und jetzt schnell weg, damit er uns nicht mehr erwischen kann!«

Das Frühstück ist ebenfalls ein beliebter Aufenthaltsort der Wutzwerge. Ihr Kind ärgert sich über den falschen Teller oder Aufschnitt? Oder haben sie aus Versehen die Banane geschält, obwohl ihr Kind das machen wollte? Kein Problem: »Hat dich Trotzelott wieder wütend gemacht?

Wahrscheinlich will er dich ablenken, damit er dein Brötchen stibitzen kann. Jetzt müssen wir ihn schnell wieder verscheuchen« – und das gelingt am besten mit Lachen.

Mit dem Schulalter klingt die magische Phase der Kinder ab. Doch auch bei älteren Kindern, wirkt die Phantasie immer noch Wunder. Hat ihr Kind auch hin und wieder Angst in der Dunkelheit? Sitzt da ein Gespenst im Schrank oder eine böse Hexe unter dem Bett? Die Phantasie unserer Kinder lässt im Dunkeln die unterschiedlichsten Gestalten aufleben. Jetzt können wir Eltern hundert Mal sagen »Da ist nichts!« oder »Hier gibt es keine Räuber!« – unsere Kinder sehen das anders.

Nehmen wir aber ihre Phantasie ernst, können wir ihnen helfen, die Gestalten zu besiegen und damit auch die Angst. Denken Sie sich einen magischen Zauberspruch aus, der ihrem Kind übermenschliche Kräfte verleiht. Oder pusten sie gemeinsam den Zauber der bösen Hexe davon. Phantasiegestalten lassen sich eben am besten mit Phantasie und Magie bekämpfen.

Der Familienalltag wird so bestimmt um einiges bunter und lustiger und die Konflikte sind leichter zu lösen.

Zur Autorin: Maja Bach schreibt und illustriert Kindergeschichten; ihre Kinder besuchen den Waldorfkindergarten und die Waldorfschule in Haan-Gruiten.

Bücher der Autorin zum Thema:

Motzelott und Trotzelott – Ich bin wütend; Der quergestreifte Tiger – Ich bin anders – du auch; beide bei bohempress, Zürich 2012, erschienen. Illustration von Maja Bach aus: »Motzelott und Trotzelott«.

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