Mit Temperament in den Urlaub

Lorenzo Ravagli

Unterwegs nach Krk

»Hey, schau mal, da ist dieses Kristallmuseum, da wollt ich immer schon mal hin!« Petra auf dem Beifahrersitz legt die Stirn in Falten. »Hält uns das nicht zu lange auf? Die Kinder sind schon ganz quengelig.« »Iwo, das schaffen wir schon.« Runter von der Autobahn, rauf auf die Bundesstraße, rein in die Ausstellung, die Kinder, Inge (6) und Berti (11) und die Ehefrau im Schlepptau.

Nach rund fünf Minuten: »Irgendwie hab ich Hunger, ich glaube, wir sollten was essen. Hier muss es irgendwo ein chinesisches Restaurant geben.« »Ein chinesisches Restaurant«, wirft die Ehefrau schon etwas mürrisch ein, »hier im tiefsten Österreich? Außerdem haben wir Proviant im Auto. Und für die Kinder ist ein Restaurant immer eine Strapaze ...« »Iwo, das schaffen wir schon. Ich brauche was Richtiges zum Essen, nicht nur eine Stulle, immerhin fahre ich schon seit acht Stunden Auto.« Raus aus der Ausstellung, rein ins Dorf, die Hauptstraße entlang. Aber man sieht auf den ersten Blick, dass es kein chinesisches Restaurant gibt. Ingilein frägt ständig: »Wann sind wir endlich in Krikri?«, Berti lässt sich von der Mutter ziehen. Vor dem »Ochsenwirt« ein abrupter Stopp. »Ich glaube, ich will doch lieber einen Kaiserschmarrn ...«. »Hör mal Stefan«, raunzt die Ehefrau, »wir sollten jetzt wirklich langsam weiterfahren, die Vermieter warten bestimmt schon und wir haben bereits acht Stunden Verspätung, weil Du unbedingt auf dem Chiemsee Bötchen fahren und dann noch Pony reiten und die Tropfsteinhöhle besuchen wolltest und ...« »Na und, da erleben wir wenigstens was – das ist doch Urlaub, oder?« 

Am Strand 

»Berta, magst Du nicht mal schwimmen gehen?« Die Wellen plätschern ans Ufer, verlockend, das Wasser ist tiefblau, die Bucht ist einsam, die Felsen gelb, die Pinien bizarr, am Himmel keine Wolke. Irgendwo tuckert ein Motorboot, aber ansonsten: paradiesisch. Nach einer halben Stunde frägt der Ehemann: »Berta, magst Du nicht mal schwimmen gehen?« Berta liegt auf ihrem Strandtuch unter dem Sonnenschirm und reagiert nicht. Sie hat den Sand zu einer Kuhle geformt, in der ihr Körper lagert und für ihren Kopf hat sie eine kunstvolle Wölbung aufgeschichtet. In Reichweite steht die Kühlbox mit Mineralwasser, Obst und jeder Menge Eis. In einer zweiten Box befinden sich die Utensilien für einen erfolgreichen Strandurlaub, die gar nicht alle aufgezählt werden können. Der Ehemann vertieft sich wieder in seinen SPIEGEL. Nachdem er die endlosen, nichtssagenden Artikel des Politikteils durch hat, wirft er einen erneuten Blick auf Berta. Sie scheint zu dösen. Er stupst sie mit dem Fuß an. »Berta, magst Du nicht mal schwimmen gehen?« Keine Reaktion. Die Stunden streichen dahin. Er wendet sich dem Feuilleton zu, danach dem Wirtschaftsteil, wirft das Magazin weg und stürmt ins Wasser. Prustend und platschend ruft er ziemlich laut: »Berta, willst Du nicht mal ins Wasser?« Soweit ersichtlich keine Reaktion. Gegen Abend, der SPIEGEL ist schon ganz zerfleddert, der Ehemann war schon etwa fünfzehn Mal im Wasser und hat die halbe Insel umrundet, regt sich was. Berta dreht ihren Kopf ein wenig und sagt: »Sag mal Gustav, kannst Du nicht wenigstens in den Ferien ein bisschen entspannen?« 

Bei Luigi 

»Hast Du diesen blasierten Sack gesehen? So was gibt’s nicht. Der hat das horrende Trinkgeld eingesteckt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und dabei hat er mich angeschaut, als hätte ich seine Großmutter bestohlen. Und dann besitzt er auch noch die Dreistigkeit, Dir schöne Augen zu machen. Was, das hast Du nicht bemerkt? Ständig dieses ›bella mia‹ und ›cara mia‹ und mich hat er behandelt, als säße ich gar nicht am Tisch. Aber das Trinkgeld einstreichen, ohne eine Spur von Dankbarkeit! Diese Italiener! Ich sage Dir – das war das letzte Mal, dass ich in Italien im Urlaub war. Ich verstehe gar nicht, wie ich mich schon wieder breitschlagen lassen konnte! Der Ärger fängt ja schon auf der Autobahn an. Die fahren wie die Wilden! Was, das waren Deutsche? Nein, das waren keine Deutschen, Deutsche fahren anständig! Immer mit quietschenden Reifen und diese unzweideutigen Zeichen mit dem Mittelfinger! Was, ich bin ständig links gefahren? Man darf doch sowieso nicht mehr als 120 fahren, da ist es doch egal, ob man rechts oder links fährt! Aber immer müssen sie drängeln. Was hat das mit ›dolce far niente‹ zu tun? Die wollen sich doch nur wichtig machen, mit ihren Alfa Romeos, diese Möchtegern-Romeos! Was – mäßigen soll ich mich? Warum soll ich mich mäßigen? Man muss dem Ärger Luft machen, sonst platzt man irgendwann, oder? Wo gehst Du hin? Aufs Zimmer? Wieso denn? Wir wollten doch noch am Strand spazieren gehen! Du immer mit Deinen Launen. Jetzt sind wir gerade mal einen Tag hier und der Urlaub stinkt mir schon wieder der­maßen!« 

Urlaubsplanung 

»Wo gehen wir denn diesen Sommer in Urlaub, Schatzi?« »Lieber Egon, ich kann diesen Sommer nirgends in Urlaub gehen.« »Was, wieso nicht?« »Hast Du Dir schon mal überlegt, was für eine Verschwendung das ist? Eine Verschwendung von Zeit, Geld, Luft, Benzin, Energie, Umwelt und vielem mehr? Außerdem, bei all dem Elend in der Welt: Wie könnte ich da ruhig in Urlaub fahren? Wo sollten wir denn auch hin? Mit dem Flugzeug zu fliegen, kommt schon gar nicht in Frage, bei der skandalösen Ökobilanz des Luftverkehrs. Und irgend so ein exotisches Urlaubsziel, wo diese  potemkinschen Dörfer für die Touristen aufgebaut werden, während es der Bevölkerung dreckig geht und man die Einheimischen nur als Bimbos zu Gesicht bekommt, die das Essen servieren und die Betten machen? Auf dem Rücken des Elends anderer ein paar schöne Tage genießen, nein, das finde ich grausam.« »Aber Schatzi, wir müssen uns doch auch ein bisschen erholen!« »Erholen? Was ist das für eine Erholung, wenn man weiß, dass es der Bevölkerung so schlecht geht, dass sie kaum was zu essen hat, dass sie unterdrückt wird und im Hinterland Bürgerkrieg herrscht?« »Dann gehen wir eben in ein südeuropäisches Land ...« »Tut mir leid, ich kann nicht. Ich kann einfach nicht, wenn ich weiß, wie elend es der Umwelt geht und so und so viele Tierarten am Tag verschwinden und die ganzen Freiflächen zubetoniert werden, damit die Urlauber schön am Strand sitzen können und schneller ans Meer kommen. Und wusstest Du, dass in Spanien ganze Heere von rechtlosen Leiharbeitern aus Nordafrika beschäftigt werden? Und was die Italiener mit den afrikanischen Flüchtlingen machen? Oder die Franzosen mit ihren Migranten? Nein, mein Lieber, ich werde dieses Jahr zu Hause bleiben und mein Urlaubsgeld ›Amnesty International‹ spenden oder den ›Ärzten ohne Grenzen‹.«