Multicolour-Kunstprojekte in Südafrika. Deutsche Studenten helfen, ethnische Grenzen zu überwinden

Ulrika Eller-Rüter

Squatter Camp McGregor

Der Schauplatz ist McGregor, ein verträumtes Dorf 200 Kilometer von Kapstadt entfernt. Im Internet wird der Ort angepriesen als »Juwel Südafrikas« und als ein »Ort, wo die Zeit stillsteht«. Und in der Tat muss man sich ins Bewusstsein rufen, dass man sich im Jahre 2011 befindet: Die Hauptstraße des Dorfes wird gesäumt von vielen schönen alten Häusern im Kolonialstil mit gepflegten Vorgärten, Cafés und Galerien. Hier leben rund 350 Weiße, vorwiegend im Pensionsalter. Der Ort hat jedoch auch andere Seiten: Straßenzüge, in denen teils baufällige, teils in Umbau befindliche, bunt bemalte Steinhäuser stehen.

Am Rand des Dorfes liegt das Squatter Camp, ein Township mit Papp- und Blechhütten für 1600 Farbige, die sie bewohnen. Hier hausen die Ärmsten der Armen, die mit weniger als 100 Euro im Monat auskommen müssen. Hier konzentrieren sich alle sozialen Probleme: Arbeitslosigkeit, Gewalttätigkeit, sexueller Missbrauch, Alkoholmissbrauch schon im frühen Kindesalter, Frühschwangerschaften und Aids. Aids wird nicht thematisiert. Wenn jemand stirbt, werden als Todesursachen Tbc oder Lungenentzündung genannt. In der südafrikanischen Gesellschaft fehlt nahezu eine Generation durch Aids. Viele Kinder werden von den Großeltern aufgezogen, weil die Eltern tot sind.

In dieser weinreichen Gegend ist der Alkoholismus ein besonderes Problem. Traditionell haben die Weinbauern ihre Arbeiter mit Wein bezahlt, kein Wunder, dass dadurch der Konsum angeregt wurde. Zum Straßenbild gehören von Freitag bis Sonntag unzählige Betrunkene, nicht nur Männer, sondern auch Frauen, junge Mädchen, fast noch Kinder, und manch eine schwanger. Viele Kinder werden noch im Mutterleib alkoholkrank.

Kunst überwindet ethnische Grenzen

An diesem Ort, an dem die Trennung der Gesellschaftsschichten und Ethnien sogar auf dem Stadtplan sichtbar ist, findet für eine Woche der erste Teil des Multicolour-Kunstprojekts als Ferienprogramm für die Township-Kinder statt, zu dem wir als Zwölfer-Team von Übersee einfliegen: neun Studierende der Malerei, Bildhauerei und Musik von der Alanus Hochschule, der Uni Osnabrück und der Musikhochschule Hamburg sowie drei Dozenten. Die Gastgeber sind Weiße, etwa die sozial engagierte Leiterin des Familienzentrums, oder Künstler, die uns in ihren Privathäusern unterbringen. Durch das Familienzentrum ist der Kontakt zu den farbigen Kindern und Jugendlichen aus dem Squatter Camp sofort hergestellt. Die Grundschule stellt uns ihre Räume zur Verfügung und los geht es: morgens mit einer Stunde Chor für alle, dann zwei Workshop-Einheiten in Schauspiel, Trommeln, Linoldruck, Bodypainting, Material­assemblage/ Landart, Fassadenmalerei. Als übergreifende Aktion wird die Mauer eines großen Rugby-Feldes bemalt. So malten bei sengender Sonne sämtliche Workshopteilnehmer mit großer Konzentration an der langen Mauer des Rugby-Feldes, Abschnitt für Abschnitt in rasanter Geschwindigkeit, manchmal 25 Kinder und Jugendliche zugleich. Sogar junge Erwachsene gesellten sich dazu. Wie in einer Art Explosion ging es jeden Tag aufs Neue los, bis nach kurzer Zeit eine große Fläche mit satten, knalligen Farbkontrasten, rhythmischen Form­elementen und einzelnen figürlichen Motiven bemalt war.

Der Zuspruch der Jungs beim Malen war besonders groß. Ein 50 Meter langer Wandabschnitt ist das Werk eines reinen Männerteams. So ist im Laufe einer Woche ein Riesenbild von etwa 150 Meter Länge entstanden, das eine große Vitalität ausstrahlt und das Potenzial der Kinder und Jugendlichen aus dem Township sichtbar macht. Durch die Kunst bekamen sie eine Stimme im öffentlichen Raum, genau am Ortseingang von McGregor an der Schnittstelle zwischen Squatter Camp und Hauptstraße.

Insgesamt konnten wir zu allen Bevölkerungsgruppen in McGregor einen nahen Kontakt herstellen und uns ungezwungen zwischen den verschiedenen Ethnien und sozialen Schichten hin und her bewegen, so wie es den weißen und farbigen Einheimischen aufgrund der tradierten Gesellschaftsstrukturen nicht ohne weiteres möglich ist. Es gab ein sehr positives Feedback für das Projekt: durch die Kinder selbst und ihre Begeisterung und durch die Weißen, die den farbigen Kindern Beifall in der Abschlusspräsentation zollten. Sie hatten sich für die Projektidee eingesetzt und uns nachhaltig unterstützt. Hier scheint angekommen zu sein, was mit Kunst in Gang gesetzt werden kann.

Robben Island – ehemalige Gefängnisinsel von Nelson Mandela

Robben Island: ein markanter Punkt auf dem Planeten, mitten im Ozean, in der Nähe des südlichsten Küstenzipfels von Südafrika vor dem Kap der guten Hoffnung, an dem weit über 3000 Schiffwracks auf dem Meeresgrund liegen. Das Kap war bei früheren Seeleuten wegen seiner heimtückischen Klippen und gefährlichen Windverhältnisse gefürchtet. Den sympathischen Namen verdankt es einer fatalen Fehleinschätzung portugiesischer Seeleute, die sich seinerzeit der guten Hoffnung hingaben, auf diesem Seeweg schnell nach Indien gelangen zu können.

Robben Island steht für Verbannung, Isolation und Gefangenschaft. Im 19. Jahrhundert wurden hier Kranke, die Lepra oder psychische Störungen hatten, von der Gesellschaft fern gehalten. Ansonsten ist dieser Ort bekannt für seine großen Gefängnisanlagen und in der Apartheid für politische Gefangene, die hier in Massenzellen oder in Einzelhaft untergebracht waren. Der wohl populärste Insasse war Nelson Mandela, dessen vier Quadratmeter große Zelle wir im sogenannten Hochsicherheitstrakt besichtigen können. Ein ehemaliger Gefangener, der zeitgleich mit Mandela inhaftiert war – allerdings nicht 27 Jahre lang wie dieser, sondern »nur« 15 – führt uns durch das Gebäude und berichtet von seinen Erlebnissen. Entwürdigung und Entmenschlichung waren die Prinzipien der Bestrafung und auch hier wurden die Schwarzen noch einmal schlechter behandelt als weiße Gefangene. Nicht einmal der Toilettengang war privat.

Mit unserem Kunstprojekt sind wir Teil eines Friedensprogramms. Gastgeber sind das Robben-Island-Museum und die Grundschule der Insel mit etwa 15 Schülern, die aus den kilometerlangen Townships von Kapstadt kommen und täglich mit der Fähre anreisen. Um den Kreis der Kinder und Jugendlichen zu erweitern und die Kosten für das Projekt zu decken, haben die beiden schwarzen Lehrer der Grundschule Schulen vom Western Cape zur Beteiligung eingeladen, so dass aus fünf Schulen insgesamt 35 Teilnehmer für eine Woche auf der Insel einquartiert werden. Der Multicolour-Aspekt wird damit tatsächlich realisiert: schwarze, weiße, farbige Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen sitzen zusammen an einem Tisch und durchlaufen gemeinsam das Tagesprogramm. Das auf ein Banner gedruckte Motto lautet: »Peace for Cultural Diversity – recognize, respect, respond and embrace diversity: Frieden für kulturelle Vielfalt – erkenne, anerkenne, achte und liebe Vielfalt«.

Im Hinblick auf die Inhalte und den Ablauf der Projektwoche mussten zwischen unserem Anliegen, mit künstlerischer Arbeit soziale und kulturelle Barrieren zu überwinden, und den Forderungen der Erziehungsbehörde Kompromisse eingegangen werden. Unsere Gastgeber hatten ein sehr volles Programm ausgearbeitet, in dem unsere Workshops nur am Nachmittag stattfanden, mit Ausnahme des Chors, der morgens den Auftakt bildete.

Bach auf der Gefängnisinsel

Die Intensität der Zusammenarbeit mit den Kindern und Jugendlichen war dadurch unterschiedlich. Deutliche Erfolge konnten wir im Chor erzielen. Eine äußerst fähige Schülerschar beherrschte im Nu Kanons in englischer und lateinischer Sprache sowie Chorsätze in Zulu und in Deutsch. Auf die Frage des Musikers, was er in Südafrika als Deutscher überhaupt ausrichten könne, kam die Antwort von Theta Sithole, Leiter der Grundschule: »Wir wollen hören, was Ihr zu bieten habt, bitte kommt mit Johann Sebastian Bach.«

Also wurde »Nun ruhen alle Wälder« einstudiert. Beim Abschlusskonzert konnte die große Gruppe der angereisten Gäste hören, wie gut die Kinder und Jugendlichen »zusammenstimmten« und dass sich das Wagnis gelohnt hatte, Bekanntes und Fremdes zu mischen.

Die Workshops sollten einen Bezug zu Robben Island herstellen. In den »Landscape-Interventions« untersuchten die Teilnehmer, was sich mit den Naturmaterialien der Insel ausdrücken lässt, sie komponierten und »verorteten« sie.

Im Zeichen-Workshop entstanden Skizzen und Sachzeichnungen von Gegenständen und Eindrücken des Gefängnisbezirks. Für den Abschluss wurde nicht nur fleißig geprobt, sondern auch eine Ausstellung aufgebaut, einerseits mit den Ergebnissen aus den Workshops, andererseits mit den künstlerischen Arbeiten der Dozenten und Studierenden, die als Resonanz auf die Erlebnisse vor Ort entstanden waren.

Das gefährliche Potenzial der Künste

Es ist symptomatisch, dass zur Zeit der Apartheid in Südafrika in getrennten Schulsystemen für Schwarze und Farbige keine künstlerischen Fächer vorgesehen waren. Schwarze sollten nur eine rudimentäre Bildung erhalten, Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen.

Ansonsten ging es um praktische Kenntnisse im Kochen, Putzen, Handarbeiten oder Gärtnern. Die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und seine Persönlichkeit zu bilden, enthielt das Apartheid-Regime schwarzen und farbigen Kindern bewusst vor – ein Indiz dafür, wie sehr das Regime die Fähigkeiten fürchtete, die in den Menschen schlummerten. Dieses »gefährliche« Potenzial der Künste soll auf Wunsch unserer Gastgeber auch in Südafrika, dem modernen Multikulti-Land, weiter entwickelt werden, zum Beispiel in Kooperation mit dem bekannten Maler und Professor der Visual Arts der renommierten Stellenbosch-Universität in der Nähe von Kapstadt.