Die historischen Quellen machen deutlich, dass die Gestalt Störtebeker widersprüchlich beschrieben wird. Dies macht sich Seifert zunutze und legt ganz eigene Ideen in die Geschichte um diesen Seefahrer und Likedeeler (Bund der Likedeeler = Gleichteilerbund /Vitalienbrüder im 14. Jahrhundert).
Der Sohn eines reichen Kaufmanns aus Hamburg, Conrad Martinen, bittet die Eltern, endlich auch zur See fahren zu dürfen. Der Vater gibt nach. Bei einem Sturm auf hoher See verunglückt der Junge und geht über Bord. Störtebeker, der mit seinem Schiff und seiner Mannschaft gerade auf dem Weg nach Bergen ist, rettet den jungen Mann und nimmt ihn in seine Mannschaft mit auf. Er hat Gefallen an diesem Jungen gefunden, schon immer wollte er selbst einen Sohn haben, was ihm aber nicht vergönnt war. Conrad begleitet nun die Piraten bei der Fahrt nach Bergen. Dort gelingt der Störtebekermannschaft der Raubüberfall auf die Stadt. Wie verabredet, soll die Hälfte des Erlöses aus den geraubten Schätzen an die Armen verteilt werden. Die andere Hälfte wird unter den Piraten aufgeteilt. Auf der Heimreise nach Hamburg werden sie wie schon oft von Störtebekers Freund dem Fischer Klaas durch die seichten Gewässer gelotst, ahnen aber nicht, dass dieser diesmal von den Hamburger Ratsherren gekauft wurde und Störtebeker verraten soll. Störtebeker und seine Mannschaft geraten in Gefangenschaft. Der junge Conrad, der auf der Heimreise vor die Entscheidung gestellt wurde, weiterhin Pirat zu sein oder wieder in Hamburg in sein früheres, bürgerliches Leben zurückzukehren, versucht die Verurteilung Störtebekers zu verhindern. Doch vergebens, dieser wird hingerichtet. Verantwortlich für diese Verurteilung ist auch Conrads Vater und Ratsherr Martinen, der nicht ahnen konnte, dass sein schon langer vermisster Sohn auf Störtebekers Schiff Rettung erfahren hatte. Es kommt zu einer bewegenden Szene zwischen Vater und Sohn mit dem Duett: »Auch Alter schützt vor Irrtum nicht, kein Mensch hat nur ein Gesicht. Es lohnt sich zweimal hinzuschau´n und nicht dem Urteil anderer zu trau´n«.
Seifert spitzt mittels der persönlichen Betroffenheit von Vater und Sohn mit dieser Wendung die Frage zu, darf man Unrecht mit Unrecht bekämpfen und welche Mittel sind gerechtfertigt?
Seifert, der Text und Musik selbst verfasst hat, gelingt hier ein musikalisches Schauspiel, das durch kurze Szenen, klare und trotz des ernsten Stoffes auch humorvollen Bildern (u.a. Mann in dem Fass) überzeugt.
Die menschlichen Regungen (Störtebeker/Conrad) werden kind- und jugendgemäß geschildert.
Die Abfolge der einzelnen Szenen ist spannend und kurzweilig. Beigefügte, professionell hergestellte Theaterfotos aus der Uraufführung von 2016 illustrieren anschaulich die Handlung. Regieanweisungen, sowie geschickte Bühnenbildangaben (die Idee mit bemalten Holzkisten, die durch kurze Umbauten Verschiedenes darstellen sollen) können unmittelbar übernommen werden.
Neun stimmungsvolle, überwiegend in Mollstimmung gehaltene einstimmige Refrainlieder, ebenfalls von Seifert komponiert, lassen die Handlung lebendig nachklingen.
Die Lieder haben einen überschaubaren Ambitus und sind ohne Schwierigkeiten gesanglich umsetzbar. Zusammen mit den beiden Chronisten gibt es 18 Rollen und dazu die Bürger aus Bergen und Hamburg. Somit lässt sich dieses Schauspiel mit Musik sehr gut in einer Mittelstufenklasse, z.B. Achtklassspiel oder in einem klassenübergreifenden Projekt der Altersstufe 6-8 umsetzen.
Martin Michael Seifert: Störtebeker – Ein Musical für die Mittelstufe, Pb., EUR 19,95, incl. Aufführungsrechte, tredition, Hamburg 2017