Nahaufnahme

Mathias Maurer

Fangen wir »unten« an. Der Viertklässler: »Ich finde es sehr schön, dass keine Schule ist, aber die vielen Hausaufgaben sind schrecklich anstrengend.« Siebtklässlerin: »Solange ich meine Freundinnen treffen kann, ist das o.k., dass die Schulen geschlossen sind. Cool fände ich, wenn wir danach eine Woche Schule und eine Woche Homeschooling im Wechsel hätten.« Dreizehntklässler: »Also das ist echt stressig. Finden die Prüfungen jetzt statt oder nicht und wann? Nach zwei Stunden Online-Unterricht kann ich eh nicht mehr.« Die Klassenlehrerin des Viertklässlers: »Langsam bekomme ich Depressionen.« Die Klassenlehrerin der Siebtklässlerin: »Wenigstens haben wir Videokonferenzen, da nehmen sich die Kinder gegenseitig wahr, was dem Sozialen der Klasse guttut.«

Die Tutorin des Dreizehntklässlers: »Wenn das noch lange so weiter geht, höre ich auf.« Die Mutter: »Ich weiß nicht, wie das die anderen hinbekommen, ohne dabei verrückt zu werden: Homeschooling, Homeoffice und Familie – alles gleichzeitig.« Der Vater: »Im Alltag versucht man, auf Normalität zu machen. Aber es fühlt sich eigentlich nicht mehr echt an.« Welche Vermutungen legen diese Aussagen andeutungsweise nahe? Der »Kleine« ist gerne zu Hause, macht aber nicht gerne Hausaufgaben. Für die »Mittlere« ist die Peer Group wichtiger als alles andere. Für den »Großen« funktioniert Wissensgewinn am Bildschirm nur sehr eingeschränkt. Die Lehrkräfte machen so lange aus der Not eine Tugend, bis es mit ihrer Vorstellung von Schule nicht mehr geht. Ohne die Eltern scheint das »System« Schule kaum mehr zu funktionieren, wie auch das gesamte »normale« Leben in eine Sinnkrise geraten kann. Welche Schlussfolgerungen ließen sich daraus ziehen?

Zum Beispiel: Schafft die Hausaufgaben ab (Unterstufe). Setzt stärker auf selbsttätigen Unterricht in Gruppenarbeit oder Projektunterricht. Die Peer Group ist das Wichtigste (Mittelstufe). Digitale Unterrichtsformen können – auch in der Oberstufe – dem klassischen Präsenzunterricht in puncto Lernerfolg nicht das Wasser reichen. Und Lehrer könnten ihre Orientierung an dem vorgegebenen Lehrplan aufgeben, sich den existentiellen Fragen des Lebens zuwenden und diese dialogisch mit den Schülern vertiefen. Vielleicht würde daran ein neues Interesse am Lernen entstehen. Es würde zumindest manchen Eltern den Druck nehmen. Jede Schule muss, um – besonders in heutigen Zeiten – nicht weiter soziale Verlierer zu produzieren, sich dessen verstärkt bewusst werden, dass sie mehr als alles andere, als gelebte Gemeinschaft sozial integrierend wirkt. Wie gesagt: eine persönliche Nahaufnahme – andere erleben das völlig anders. Gesundend auf allen Ebenen des sozialen Lebens kann Lektüre sein – wir hoffen, auch unser Heft mit den Themenschwerpunkten Impfen, Medizin und Gesundheit trägt dazu bei.