Die Auseinandersetzung mit Andreas Neiders Buch führt zu Fragen und Denkanstößen, die nicht nur die Erziehung der Kinder und Jugendlichen, speziell ihren Umgang mit Computern betreffen. Denn die moderne Medienwelt hat Menschen ohne Altersbegrenzung in ihren Bann gezogen. Nicht nur Eltern werden von ihren Erziehungsaufgaben durch Fernseher, Computer, Handy, Nintendo und iPod befreit, in den Genuss ihrer Segnungen kommen inzwischen in weitem Umfang auch alte, pflegebedürftige Menschen.
Als Medienfachmann ist Neider weit davon entfernt, den Gebrauch dieser Medien zu verteufeln. Er legt allerdings schon durch den Obertitel: »Die Korrumpierung des Bewusstseins durch das Internet« seine Einstellung offen. Deutlicher noch wird er in den Untertiteln. Zum Beispiel: »Wie wir als Internetnutzer unsere Seele verkaufen« oder »Die Korrumpierung von Willensbildung und Gedächtnis«, »Elektronische Doppelgänger«. Hier frage ich mich: Bin ich als routinierter Internetnutzer bereits so blind und verdorben für das zeitgemäße soziale Denken und Handeln, dass ich die Gefahren übersehe? Oder fehlen Neider vielleicht doch ausreichende Erfahrungen, was ihn dazu kommen lässt, Youtube nur als Selbstdarstellungsbühne zu identifizieren und als positives Beispiel des Internets nur die Einrichtung einer offenen Tafel durch die Initiative eines Studenten zu erwähnen? Ohne Twitter wären die Ad-hoc-Einsätze von Jugendlichen bei der Bekämpfung des Hochwassers in Dresden oder Halle nicht möglich gewesen.
In den weiteren Teilen des Buches erläutert der Autor anhand von Übungen, die Rudolf Steiner entwickelt hat, wie Seele und Geist gestärkt werden können, um der »Korrumpierung des Bewusstseins« durch intensive Schulung und Willensbildung zu entgehen.
Ein Computerfreak zu einem anderen: »Du, es gibt tatsächlich eine wirkliche Welt!« »Bist du ganz sicher?« »Ja, absolut!« »Dann schick mir doch mal den Link.« Dies war natürlich ein Chat, die heute übliche Form eines »persönlichen« Gesprächs, und zeigt nur die Außenseite einer Kommunikation, die dem Wesen nach starke Empathiekräfte enthält. Die Fragen, die Neider aufwirft, sind: Sucht die junge Generation, mit dieser besonderen Begabung sensibler gegenseitiger Wahrnehmung ausgestattet, im Internet eine Möglichkeit, diese Kräfte wirksam werden zu lassen? Oder schluckt das Internet, was in der Wirklichkeit Platz finden könnte?
Andreas Neider: Aufmerksamkeitsdefizite. Wie das Internet unser Bewusstsein korrumpiert und was wir dagegen tun können, geb., 234 S., EUR 22,–, Freies Geistesleben, Stuttgart 2013