Neue Perspektiven auf Pommes

Renée Herrnkind

Landwirt Hans von Hagenow und seine Mitstreiter begleiten die Schülerwochen schon seit den 1980er Jahren. Hier in Zülpich in Nordrhein-Westfalen ist Platz für große Klassen. Fünf kommen jedes Jahr auf den Hof, der mit Stall, Feldwirtschaft, Gartenbau, Käserei, Laden und Küche beste Voraussetzungen für vielfältige Erfahrungen bietet. Zwei Wochen lang durchlaufen die Jugendlichen in kleinen Gruppen alle Stationen und arbeiten richtig mit. »Das ist eine Hilfe für uns auf dem Hof, aber auch eine enorme Herausforderung«, räumt Hans von Hagenow ein. Doch die sechs Landwirtsfamilien von Bollheim nehmen das gerne in Kauf: »Es geht nicht nur um Nahrung, sondern darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen«, findet von Hagenow.

Hof Bollheim organisiert die Arbeit für die Waldorfschüler. Dort sind 40 Kisten Rotkohl zu pflanzen, hier Kartoffeln zu roden, Hecken zu schneiden, Zäune zu reparieren, Gurken zu ernten und für den Laden herzurichten, Ställe zu misten und Vieh zu füttern. »Die Schüler sehen, dass die Arbeit bewältigt werden muss und erleben die Befriedigung, wenn alles weggeschafft ist«, sagt von Hagenow. Der Tag beginnt mit Info-Runden aus den jeweiligen Bereichen: Was ist eine Fruchtfolge? Wie sieht der Lebenslauf einer Möhre aus? Was passiert beim Käsen oder welches Getreide lässt sich optimal verbacken? Eifrig schreiben die Mädchen und Jungen mit, denn natürlich müssen sie über ihr Praktikum berichten. Die Bollheimer finden es wichtig, dass junge Leute wieder mehr Bezug zur Landwirtschaft und Ernährung bekommen. Das ist auch Ziel der Waldorf-Pädagogik, die nicht nur auf intellektuelle Förderung, sondern auch auf Sinneserfahrungen und praktisches Tun setzt.

Rechtschaffen müde

Holger Michels ist Tutor der Mainzer Neuntklässler und unterrichtet Geschichte und Musik. Er war schon mit sieben Schulklassen auf dem Hof Bollheim und erlebt die Wirkung des landwirtschaftlichen Praktikums seit Jahren: »Durch das gemeinsame Tun werden Gespräche möglich, die im Schulalltag sonst nicht geführt werden können«, berichtet er. »So entstehen vertiefte Bindungen. Wir lernen uns alle intensiver kennen.« Die Dynamik, die durch das Zusammenleben entsteht, lässt auch mal Konflikte aufbrechen. »Hier ist dann wirklich Zeit, sie zu besprechen und ausheilen zu lassen«, sagt Michels. Die körperliche Anstrengung, das frühe Aufstehen, die frische Luft und sinnvolle Abläufe machen rechtschaffen müde und erfüllen die Seele. Das Essen – vom Küchenteam mit den Kindern gemeinsam zubereitet – löst wahre Lobeshymnen aus. Was morgens geerntet und geputzt wurde, steht mittags auf dem Tisch. Da wird Ernährung rund und der Respekt vor der Erzeugung von Lebensmitteln wächst. Wie viel Arbeit wirklich hinter einer Karotte oder einer Scheibe Käse steckt, imponiert den Kindern. Wenn die Neuntklässler dann sogar beim Hoffest mithelfen und 3.000 Gäste bewirten, sind sie Botschafter für biodynamische Qualität. Die Eltern, die zum Mitfeiern anreisen, erleben ihre Kinder zufrieden wie selten. Sie haben zwar bereits einen vorbereitenden Elternabend hinter sich, sehen das Landwirtschafts-Praktikum in seinem Wert durch das konkrete Erleben aber jetzt deutlicher. »Da fragt dann niemand mehr, ob es nicht kontraproduktiv ist, in der neunten Klasse zwei Wochen Unterricht ausfallen zu lassen, um auf den Bauernhof zu gehen«, freut sich Michels. Und die 14- und 15jährigen sehen Pommes frites mit ganz neuen Augen, nachdem sie stundenlang selbstgeerntete Kartoffeln in die passende Form geschnippelt haben. Kein Wunder, dass in der Abschlussrunde Noelle und Darius bedauern, dass die Zeit bereits abgelaufen ist. »Eigentlich würden wir gern noch länger bleiben«, sagen sie. Wie die Wertschätzung für Lebensmittel steigt, beweist die Aussage: »Möhren müssten doch viel teurer sein, schließlich machen sie richtig viel Arbeit.«

Das Ziel, die Verbindung zu landwirtschaftlicher Urproduktion herzustellen, ist erreicht. Es dauert ein bisschen, bis die Bollheimer sich daran gewöhnen, dass es auf dem großen Gut wieder leiser ist. Wenn die nächste Klasse aus Mainz anreist, wird der Hof lauter, lebendiger, bunter – »und wir Alten bekommen hautnah mit, was die Jugend heute bewegt«, resümiert von Hagenow. »Das ist gut so.« Neudeutsch würde man das als Synergieeffekt bezeichnen. Bei den Beteiligten heißt es: Das landwirtschaftliche Praktikum ist für alle sinnvoll.

Links: www.bollheim.de, www.fws-mainz.de

Überarbeiteter Beitrag aus Demeter Journal Nr. 13