Digital ist besser – auch in der Erziehung?

Christian Müller

Kaum ein Lebensgebiet ist heute von der Digitalisierung unberührt, ob Steuerverwaltung, Urlaubsreise, Transportwesen, Versorgung, Energieverteilung, Kommunikation oder Noteinsatz im Krankenhaus. Würde man sämtliche Prozesse, die in hochentwickelten Gesellschaften digitalisiert ablaufen, zum Stillstand bringen, würden diese Gesellschaften augenblicklich zusammenbrechen.

Der (digitale) Erziehungsalltag

Auch im persönlichen und sozialen Umfeld der meisten Kinder und Jugendlichen ist die Digitalisierung allgegenwärtig. Erzieher werden sofort an Gefahren wie problematische, für Kinder ungeeignete Inhalte denken oder an Auseinandersetzungen über soziale Netzwerke. Der effiziente und leichte Zugang zu gefährdenden Inhalten ist von einer neuen Qualität und muss in der Erziehung neu bewertet werden. Andererseits sollten das enorme Potenzial, der Mehrwert und die Möglichkeiten digitaler Medien nicht unbeachtet bleiben.

Chancen und Mehrwert digitaler Medien in Familien

Mit der Digitalisierung und einer Konsequenz daraus, dem Internet, stehen uns heute unzählige Quellen offen. Der Zugang zu Wissen war noch nie so einfach. In fast jedem erdenklichen Fall nutzen wir heute das Internet als Informationsressource und können Lösungen für akute Probleme und Antworten auf Fragen aus dem Alltag finden. Natürlich sollte der Rat von erfahrenen Kolleginnen oder Kollegen, der Eltern oder Verwandten dadurch nicht vernachlässigt werden. In vielen Lebenssituationen wird aber die Websuche der einfachste und erste Schritt sein, da die Konsultation eines Experten in unmittelbarer Nähe gerade nicht möglich ist. Dass Informationen aus dem Netz auf Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit hinterfragt werden und dass ihre Nützlichkeit und Aussagekraft für den eigenen Anfragegrund individuell bewertet werden müssen, sollte heutzutage jedem Erzieher klar und eine Selbstverständlichkeit sein. Bei Kindern wird man diese Medienkompetenz nicht voraussetzen dürfen.

Doch nicht nur der Abruf von Informationen macht das Internet aus, sondern auch die Vernetzung von Personen untereinander. Das Netz bietet Gleichgesinnten wie jungen Eltern, alleinerziehenden Müttern eine Kommunikations-, Informations- und Austauschplattform. Die »Online Communities of Practice« unterstützen die Nutzer in den von ihnen zu bewältigenden Aufgaben und Herausforderungen.

Ein Beispiel sind die sogenannten MOOCs (Massive Open Online Courses). Dabei handelt es sich um virtuelle Kurse, meist auf Hochschulniveau, deren Zielgruppe nicht Kinder, sondern die Erziehenden sind. Eltern, die in der Regel mit der Erziehung ihrer Kinder und beruflicher Tätigkeit stark ausgelastet sind, bieten diese neuen Lehr- und Lernformen im Netz die Möglichkeit, an Wissen, Knowhow und sogar an anerkannte Abschlüsse zu kommen. Weiterbildungen oder ganze Fernstudiengänge gehören zur Bildungslandschaft. Die Teilnehmenden haben den Vorteil, ihren Tag flexibel gestalten zu können.

Sollten Mediengeräte kreativ genutzt werden, ist ein kompetenter und kreativ-kritischer Umgang unabdingbar. Mit Geräten der heutigen Generation lassen sich hochwertige Bild-, Ton- und Video-Dokumente erstellen. Die Qualität ist dank moderner Technologien enorm hoch. Digital aufgenommene Erlebnisse, besondere Momente und Erfahrungen können ohne Qualitätsverluste auch noch Generationen nach der Aufnahme wiedergegeben werden. In den 1960er Jahren, als Super-8-Camcorder aufkamen, wurden bereits erste Geh- oder Radfahrversuche der eigenen Kinder auf Zelluloid gebannt. Die gestiegene Medienqualität hätte sich mancher Zeitgenosse für die damaligen Medienaufzeichnungen gewünscht.

Mit Tabletgeräten oder Smartphones und den entsprechenden Zusatzprogrammen (Apps) lassen sich viele Aufgaben des täglichen Lebens erledigen. Zudem gibt es etliche Spiele und Lernprogramme, die für fast alle Altersgruppen angeboten werden. Beides kann von sehr unterschiedlicher Qualität sein; deshalb sollte Entwicklern oder Anbietern nicht blind vertraut werden und Kinder sollten im Umgang mit diesen Geräten nicht sich selbst überlassen sein.

Medienabstinenz kann gefährlich werden

Auch wenn die Gefahren des Internets nicht unterschätzt werden dürfen: ein bewahrpädagogischer Ansatz kann in der heutigen, von Medien durchdrungenen Welt nur bis zu einem gewissen Grad – wenn überhaupt – funktionieren. Sobald die Kinder den Einflussbereich ihrer Eltern oder Erzieher verlassen, sind sie den Gefahren der digitalen Welt ausgesetzt. In einer medienabstinenten Welt erzogene Kinder könnte ihre eigene Medien-Unwissenheit mit voller Härte treffen. Daher sollten die Kinder schrittweise, überlegt und dem Alter entsprechend maßvoll an diese Mediengeräte und das Internet herangeführt werden.

Das richtige Maß gilt es individuell zu finden. Es lässt sich – wie so oft – nicht pauschal formulieren. Spätestens in der Berufswelt – und mit großer Wahrscheinlichkeit schon zuvor auf dem Pausenhof – wird ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien für Kinder und Jugendliche nur von Vorteil sein. Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz, die aus unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr weg­zudenken ist. Sie sollte damit auch ihren festen Platz in der Erziehung haben.

Zum Autor: Dr. Christian Müller beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit dem Lehren und Lernen digitaler Medien und ist seit 2010 als Mitarbeiter des InteLeC-Zentrums an der Universität Passau für den Bereich Mediendidaktik zuständig. Lehraufträge an der Universität Passau und an der FH Oberösterreich im Bereich Digitale Medien und Medienbildung.