Klassenzimmer

Oberstufe: Am Puls der Zeit?

Daniela von Pfulstein
Daniela von Pfuhlstein
Bild: © Charlotte Fischer

Wundervolle Kunstwerke, ausgezeichnete Konzerte, spektakuläre Klassenspiele: Anforderungen, die Waldorfschüler:innen in der Oberstufe bravourös meistern. Nebenbei nehmen sie akademisches Wissen auf, das sie für die staatlichen Schulabschlüsse benötigen. Laut Statistischem Bundesamt haben im Jahr 2020 49 Prozent der Waldorfschüler:innen die Schule mit der allgemeinen Hochschulreife verlassen, sechs Prozent mit der Fachhochschulreife, 34 Prozent mit dem mittleren Schulabschluss und sechs Prozent mit dem Hauptschulabschluss.

Gleichzeitig lässt sich an einigen Schulen ein Ausdünnen der Oberstufenklassen beobachten und es stellt sich die Frage, ob die Waldorfschulen den Bedürfnissen der Schüler:innen und den Interessen der Eltern in der Oberstufe gerecht werden: Während bundesweit in den Klassen zwei bis fünf mehr Zu- als Abgänge an den Waldorfschulen zu verzeichnen sind, wandeln sich die Zahlen in der Oberstufe sehr. Im bundesweiten Durchschnitt haben im Schuljahr 2021/22 nach der achten Klasse zwei Prozent der Schüler:innen die Waldorfschule verlassen, nach der neunten Klasse drei Prozent, nach der zehnten Klasse bereits acht und schließlich nach der elften Klasse ist ein Schwund von 13 Prozent zu verzeichnen.

Es gibt viele Gründe – Enttäuschungen, Ängste und Sorgen spielen genauso eine Rolle wie rationale Ursachen. Aufgrund von Abschlussbedingungen in den Bundesländern kann sich der Lehrplan der Waldorfschulen anpassen, ist aber auch für die Oberstufe sehr vielseitig und sieht, wie in den unteren Klassenstufen, viele künstlerische Fächer vor. Laut einer Waldorflehrerin liegt hier für manche ein Motiv, die Schule zu wechseln. Einige Schüler:innen möchten sich mehr auf den Schulabschluss fokussieren, intensiv darauf vorbereitet werden und sehen das Künstlerische nur noch als unnötiges Beiwerk bzw. «Röschen obendrauf» an. Nicht zu vergessen ist auch, dass an vielen Regellschulen ein Realschulabschluss in kürzerer Zeit als an der Waldorfschule erreicht wird. Einige der abgehenden Schüler:innen sagen, dass sie den Leistungsdruck durch Klassenarbeiten und Noten bei der Vorbereitung auf den Schulabschluss vermissen. Auch entspreche die mögliche Fächerkombination oft nicht ihren Interessen. Dies gilt allerdings in einigen Bundesländern nicht, in Hessen etwa bieten die Schulen das Zentralabitur selbst an und die Schüler:innen bekommen Noten ab Klasse neun.

Eine Schülerin, die in Baden-Württemberg nach der elften Klasse auf ein Gymnasium gewechselt hat, bestätigt die Aussage der Lehrerin: Sie fühlte sich an der Waldorfschule nur unzureichend auf das nahende Abitur vorbereitet. Die Aussicht, nur wenige Monate Zeit für die Vorbereitung des Externenabiturs zu haben, empfand sie als zu stressig. Sie wollte lieber über zwei Schuljahre Punkte sammeln, als nur eine Chance am jeweiligen Prüfungstag zu haben.

Sie wünschte sich auch im Unterricht mehr aktuelle Themen und solche, die für ihr Leben relevant seien.

Laut der Shell Jugendstudie möchten junge Menschen in unserer Gesellschaft gehört werden. Sie bezeichnen sich als politisch interessiert und machen sich ernsthafte Sorgen bezüglich des Klimaschutzes und ihrer Zukunft. Nur wenn die unterrichtenden Waldorflehrkräfte der jeweiligen Klasse von sich aus motiviert sind, werden aktuelle, brisante Fragen im Unterricht thematisiert. Dahingegen sind öfter veraltete Lerninhalte Bestandteil des Schulalltags. Schüler:innen beklagen, dass nicht auf aktuelle Themen eingegangen wird.

Die Oberstufen sind von zentraler Bedeutung für die Waldorfschulen. Bei öffentlichen Veranstaltungen sind es häufig die Auftritte und ausgestellten Arbeiten der Oberstufenschüler:innen, die neue Eltern beeindrucken und zu deren Entscheidung für die Waldorfschule für ihr Kind einen wichtigen Beitrag leisten. Ist es notwendig, die Unterrichtsinhalte und die Lehrmethodik zeitgemäß und an die Bedürfnisse der jungen Leute anzupassen, um den großen Schwund in den oberen Klassenstufen aufzuhalten?

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.