Peripherie

Bis zum Mittelpunkt? Lächerlich! – Was uns von der Erde gehört

Klaus Rohrbach
Foto: © Charlotte Fischer

Berühmt geworden ist der Ausspruch des amerikanischen Astronauten Edgar Mitchell: »Wir kamen zum Mond als Techniker, wir kehrten zurück als bewusste Menschen.« Und der deutsche Raumfahrer Thomas Reiter riet allen politischen Entscheidungsträgern eine solche Sicht auf den Planeten aus dem All: »Es verändert das Leben. Probleme erhalten eine andere Wertigkeit. Politikern würde dieser Blick auf unsere Erde ganz gut tun. Gerade wenn sie vor wichtigen, globalen Entscheidungen stehen

Ein neues Bild der Erde

Nun hat sich in den letzten Jahrzehnten auch der Blick der Wissenschaften – vor allem der Geowissenschaften – deutlich gewandelt. Der vermeintlich tote Materiebrocken Erde entpuppt sich zunehmend als dynamischer Organismus, der äußerst komplex gestaltet und mit zahlreichen Phänomenen ausgestattet ist, die wir gemeinhin dem Leben zuschreiben (z.B. Reaktionsfähigkeit, Reizbarkeit, Entwicklung, Gestaltwandel, Wachstum, Stoffwechsel, rhythmische Prozesse, Kreisläufe, Atmung). Der britische Naturwissenschaftler James Lovelock hat seit den 1960er Jahren die Fachwelt aufgerüttelt. Eines seiner Bücher trägt den provozierenden Titel: »Gaia – Die Erde ist ein Lebewesen«. Er steht nicht allein. Platon, Leonardo da Vinci, Johannes Kepler, Johann Wolfgang von Goethe, Carl Gustav Carus, Rudolf Steiner, Hans Cloos, Lynn Margulis, Raymond Siever, Bruno Latour: Sie alle erkannten die Erde als lebendiges, einige sogar als beseeltes Wesen. Nur etwas Lebendiges kann man angemessen achten, respektieren und lieben.

Wem gehört die Erde?

Die Erde – das ist unser Planet, unsere Heimat, so sagt man. Gehört sie tatsächlich uns?

Es begann vermutlich mit der Sesshaftwerdung vor zehn- bis zwölftausend Jahren. Die Jäger und Sammler gaben ihr nomadisches Leben auf, bestellten Felder, züchteten Vieh, bauten Häuser und Tempel. Sie machten wohl erstmals Eigentumsrechte auf Grund und Boden geltend; denn sie investierten ja viel Arbeit und Schweiß. Für Jean Jacques Rousseau war das der Sündenfall schlechthin:

»Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen und den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: »Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.‹«

Heutiges Recht

Wie viel vom Planeten Erde gehört heute einem einfachen Grundstückseigentümer? Die Antwort ist wenig bekannt und äußerst frappierend.

Rechtlich regelt es das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) unter dem Stichwort »Eigentum« im § 905. Da heißt es: »Das Recht des Eigentümers eines Grundstücks erstreckt sich auf den Raum über der Oberfläche und auf den Erdkörper unter der Oberfläche.« Im Prinzip also ein Segment bis zum Mittelpunkt der Erde und senkrecht in den Himmel hinauf! »Der Eigentümer kann jedoch« – fährt der Paragraph fort – »Einwirkungen nicht verbieten, die in solcher Höhe oder Tiefe vorgenommen werden, dass er an der Ausschließung kein Interesse hat.« Das bezieht sich z.B. auf den Flugverkehr (Luftfahrtgesetz) oder die Raumfahrt. Doch das Schwenken eines Baukrans über dem Grundstück kann unerlaubt sein, ebenso der Überhang von Ästen des nachbarlichen Gartens; auch das vermehrte Aufkommen von Drohnen ist aktuell zum Problem geworden.

Gehört somit tatsächlich alles unter meinen Füßen – auf meinem Grundstück – mir persönlich? Könnte ich also auch alle vorhandenen Bodenschätze abbauen und sie verkaufen? Nicht ganz so … Im Einzelnen ist das in Deutschland durch das Bundesberggesetz (BbergG) geregelt. Rechtlich werden dabei drei Gruppen von Rohstoffen unterschieden: »Bergfreie Bodenschätze«, »Grundeigene Bodenschätze« und »Grundeigentümerbodenschätze«.

Die Bergfreien Bodenschätze sind »frei«, das heißt sie gehören nicht dem Grundeigentümer. Früher gehörten sie dem Staat, seit 1982 gelten sie aber als »herrenlos«, gehören also gleichsam niemandem. Abbau- und Nutzungsrechte werden von staatlichen Behörden an Bergwerke verliehen.

Um welche Bodenschätze handelt es sich? Es sind zahlreiche mineralische Rohstoffe (fest, flüssig oder gasförmig), zum Beispiel Aluminium, Blei, Chrom, Eisen, Gold, Silber, Kobalt, Kupfer, Mangan, Platin, Quecksilber, Schwefel, Salze, Erdöl, Erdgas, Steinkohle und Braunkohle, auch Erdwärme und etwa vierzig seltene Erden (darunter Lithium, Caesium, Molybdän, Vanadium, Tantal, Niob u.a.m.).

Was bleibt denn da noch Wertvolles übrig, mag man sich fragen …

Das sind die sog. Grundeigenen Bodenschätze und die Grundeigentümerbodenschätze. Sie gehören nun tatsächlich dem Grundstückseigentümer! Er darf sie sich folglich auch nutzbar machen. Dazu zählen u.a. Basalt, Bauxit, Natursteine, Kalkstein, Dachschiefer, Torf, Lehm, Gips. Tone, Quarzsande, Kiese, Trass – also vornehmlich Baustoffe.

Gebaut wird immer!

Diesen Eindruck hat man, wenn man durch Deutschlands Städte schlendert oder auf der Autobahn fährt. Tatsächlich werden bundesweit pro Sekunde über fünf Quadratmeter neu bebaut. Das sind etwa 45 Hektar pro Tag oder 63 Fußballfelder. Neben gewaltigen importierten Mengen ist die Summe der Bodenschätze, die hier in Deutschland abgebaut werden, durchaus beeindruckend. Im Jahr 2019 wurden 597 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe gewonnen, wozu vor allem der Abbau von Steinen und Erden zählt. Allein die Kiese und Sande – alles Grundeigentümerbodenschätze – machten 259 Millionen Tonnen und die gebrochenen Natursteine 217 Millionen Tonnen aus. Rund 80 Prozent davon wurden in der Bauwirtschaft verarbeitet, 20 Prozent in der Chemie-, Stahl- und Glasindustrie.  Bei alldem sind zwangsläufig heftige Interessenkonflikte hinsichtlich der naturräumlichen Folgeschäden sowie die Gefährdung wertvoller Naturschutzgebiete im Spiel.

Zum Beispiel Gips …

Jeder Heim- oder Handwerker kennt ihn: den Gips der Firma Knauf. Der mainfränkische Familienkonzern aus Iphofen (Landkreis Kitzingen) ist Gips-Weltmarktführer mit etwa zwölf Milliarden Euro Jahresumsatz und rund 40.000 Mitarbeitern auf allen Kontinenten.

Doch Knauf geht der Gips aus! Mit dem geplanten Kohleausstieg in Deutschland 2030 oder spätestens 2038 wird nämlich auch der sog. REA-Gips vom Markt verschwinden. Der synthetische Rohstoff entsteht in den Anlagen zur Rauchgasentschwefelung von Kohlekraftwerken. So wird man in Zukunft vermehrt den Naturstein brauchen. Und deshalb kommt die »Altertheimer Mulde« ins Spiel, ein Gebiet westlich von Würzburg. Dort soll in vier Jahren Bayerns größtes Gipsbergwerk entstehen, ein riesiges Labyrinth aus unterirdischen Tunneln, zwischen 70 und 130 Meter tief und mit einer Ausdehnung von rund siebeneinhalb Quadratkilometern. Vor etwa 220 Millionen Jahren lagerte sich hier am Rand eines Meeres bei subtropischem Klima eine sechs Meter dicke Gipsschicht ab. Insgesamt 40 Millionen Tonnen Naturgips sollen in der Altertheimer Mulde zu gewinnen sein; geplant sind 300.000 Tonnen pro Jahr. Falls die Untersuchungen des Grundwasserspiegels im Trinkwasserschutzgebiet positiv ausfallen, kann es 2025 losgehen. Und noch etwas muss zuvor geschehen: Die entsprechenden Grundstücke müssen käuflich erworben werden oder es muss zumindest eine Abbauvereinbarung getroffen werden; denn Gips ist ja (anders als z.B. in Österreich) bei uns ein grundeigener Bodenschatz! Bereiche unter Grundstücken, die nicht verkauft werden, müssen dann bleiben. Sie können als Stützpfeiler in dem gewaltigen Tunnellabyrinth dienen.

… oder Sand und Kies

Sand und Kies sind mit Abstand die am meisten gebrauchten und abgebauten Ressourcen der Welt. Der reichlich vorhandene Wüstensand ist bekanntlich für die Bauwirtschaft nicht brauchbar, weil die Körner vom Wind rund geschliffen sind. Die benötigten Mengen sind gigantisch, da Sand nicht nur für Beton, Ziegel, Asphalt und Mörtel gebraucht wird, sondern auch für die Herstellung von Glas, Displays, Kosmetik, ja sogar Zahnpasta. Rechnerisch verbraucht jeder Bundesbürger pro Stunde ein Kilo, das sind fast neun Tonnen pro Jahr.

Doch inzwischen wird überall auf der Welt der Sand knapp! Dabei besitzt das relativ rohstoffarme Deutschland durchaus gewaltige Sandvorkommen. Rund 2000 Sand- und Kiesgruben gibt es hierzulande; sie gewinnen rund 240 Millionen Tonnen Bausand und Kies pro Jahr. Doch das ist nicht genug! Da jedoch der Schutz der Natur immer wichtiger wird, ist es inzwischen schwierig geworden, neue Gruben anzulegen. Ein großer Teil der Vorkommen liegt in Naturschutzgebieten oder unter Wohn- und Gewerbeflächen bzw. Schienen und Straßen; und die Bauern wollen ihre wertvollen Äcker nicht verkaufen. Sand und Kies aus entfernten Abbaugebieten zu den Baustellen zu transportieren, ist allerdings nur in einem Radius von 20 Kilometern ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll. Eine tragfähige Lösung ist noch nicht in Sicht.

Die Erde ist begrenzt

Der Boden der Erde kann nicht vermehrt werden, er ist auch nicht produzierbar, allerdings unverzichtbar. Deshalb ist Boden auch keine beliebige Ware. Doch er wird in unserem Wirtschaftssystem wie eine Ware behandelt, so dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Vielfach dient er als Vermögensanlage oder als Spekulationsobjekt, weil er ein begrenztes und deshalb äußerst knappes Gut ist und je nach Lage exorbitante Wertsteigerungen erfahren kann. Darunter leiden weltweit alle Mieter in Großstädten, deren ständig steigende Bodenpreise ein bezahlbares Wohnen zunehmend unmöglich machen.

So entfielen zum Beispiel in München bei den Kosten des Wohnungsbaus im Jahr 1961 nur acht Prozent auf den Grundstückskauf und 92 Prozent auf die Baukosten. 2018 betrugen die Grundstückskosten schon 79 Prozent, die Baukosten entsprechend 21 Prozent. Kein Wunder, dass die Mieten explodierten.

Doch Wohnen ist eine Lebensnotwendigkeit, somit ein Menschenrecht.

Da klingt schon fast absurd, was am 20. Juni 1991 um genau 21:49 Uhr im Bundestag geschah. Nach etwa zehn Stunden heftiger Debatte verkündete Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das Ergebnis der geheimen Abstimmung über den zukünftigen Parlaments- und Regierungssitz. 338 Abgeordnete stimmten für Berlin, 320 für Bonn. Der Berliner Boden verteuerte sich durch die Abstimmung schlagartig um rund 100 Milliarden DM!

Und weltweit erleben wir das sog. Landgrabbing. Große Konzerne, die Nahrungsmittel produzieren, aber auch Regierungen wollen unabhängig sein von den schwankenden Kursen an den Börsen. Deshalb kaufen sie – bevorzugt in Entwicklungsländern – riesige Areale mit fruchtbarem Ackerboden auf und betreiben ihre eigene Landwirtschaft, oft zu Lasten der bisherigen Eigentümer, die mit falschen Versprechungen zum Verkauf genötigt werden.

Ein anderes Bodenrecht

Die Erde ist nicht unbegrenzt. Deshalb stritten viele Sozialreformer – unter ihnen Rudolf Steiner –, für eine neue Bodenordnung, die dem Gemeinwohl untergeordnet sein müsse. Ihnen schlossen sich Wissenschaftler und Politiker wie der 2020 verstorbene Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel an. Entsprechend dem Art. 14 (2) des Grundgesetzes (»Eigentum verpflichtet.«) sollten Grund und Boden prinzipiell Gemeingut bzw. Gemeineigentum sein mit echter Sozialbindung, ähnlich wie Wasser und Luft.

Ist das utopisch?

Der Engländer Thomas Spence, 1750 als Sohn eines armen Schuhmachers geboren, anfangs Lehrer und später Betreiber eines kleinen Buchladens in London, veröffentlichte 1775 solche Gedanken erstmals in der Geschichte mit der Schrift "Das Gemeineigentum am Boden". Heftige Opposition schlug ihm entgegen.

Doch die Idee ist älter, viel älter – und auch längst praktisch umgesetzt.

So spricht das Alte Testament vom Erlassjahr (Jobeljahr, Halljahr), bei dem nach 49 Jahren die Israeliten alle Schulden erlassen und ihr Erbland zurückgeben müssen; denn Grund und Boden gehören Gott und sind lediglich von ihm gepachtet.

Im Mittelalter gab es tausend Jahre lang in fast jedem Dorf in Deutschland und vielen anderen Ländern die Allmende, ein gemeinschaftliches Bodeneigentum. Jedermann konnte bestimmte Wege, Wälder, Gewässer, Wiesen und Weiden nutzen, zudem in Flüssen fischen sowie Sand, Kies und Torf abbauen und Bau- und Brennholz sammeln. Eine solche Form des Gemeineigentums existiert in bestimmten Gegenden bis heute, z.B. im Alpenraum, im Schwarzwald und auch in ländlichen Gebieten zahlreicher Entwicklungsländer. Elinor Ostrom (1933–2012), eine amerikanische Politikwissenschaftlerin, bekam 2009 den Wirtschaftsnobelpreis, weil sie die segensreichen Wirkungen der Allmende nachgewiesen hatte.

In Russland existierte seit dem 10. Jahrhundert die Mir, die russische Dorfgemeinschaft. Grund und Boden wurden periodisch unter den Bauern umverteilt, so dass jeder abwechselnd fruchtbaren und weniger fruchtbaren Ackerboden erhielt. Und jeder bekam dabei so viel Land, wie er zur Selbsterhaltung inklusive aller Abgaben brauchte.

In Deutschland – aber auch in anderen Ländern – existiert das sog. Erbbaurecht. Es sieht die Bebauung eines Grundstücks gegen die jährliche Zahlung eines bestimmten Geldbetrags, des Erbbauzinses, vor. Das damit verbundene Nutzungsrecht gilt in der Regel 99 Jahre.

In vielen Ländern sind Grund und Boden teilweise oder ganz verstaatlicht, damit also dem freien Spiel des Marktes und der Spekulation mit Bodenwerten entzogen.

In der DDR waren 50 Prozent aller Liegenschaften »volkseigen«. In Israel sind heute etwa 90 Prozent des Bodens verstaatlicht, allerdings nicht die Städte, die folglich unter entsprechendem Boden- und Mietwucher leiden.

In China sind 100 Prozent des Bodens in Staatsbesitz, ebenso in Äthiopien.

Besonders eindrücklich wirkt das Empfinden der alten indigenen Kulturen Amerikas. Jeder Mensch bekam nur so viel Land, als er bestellen konnte. Alle Mitglieder des Stammes waren Kinder der Mutter Erde und gehörten zusammen. Sie waren nicht Eigentümer, sondern lediglich gemeinsame Bewirtschafter des Landes. Der berühmte Häuptling Tecumseh sprach es unmissverständlich aus: »Was? Land sollen wir verkaufen? Dann können wir gleich auch Wasser und Luft verkaufen! Der große Geist gab sie allen gemeinsam!«

Sollten wir also endlich den Blick auf ein neues Bodenrecht richten und Rousseaus Hinweis folgen, wenn er uns auffordert, nicht zu vergessen, »dass die Früchte allen gehören und die Erde niemandem«?

Eine nachdenkliche Schülerin brachte es beim Jugendsymposion in Kassel während eines Workshops auf den Punkt: »Bis zu ihrem Mittelpunkt soll uns die Erde gehören? Das ist doch lächerlich!«

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