Die seelische Wirkung von Lebensmitteln

Uwe Geier

Wer kennt sie nicht, die Wirkung von Sahne? Aber wie lässt sich der Eindruck beschreiben? Sich in den Sessel setzen – oder umhüllend, wärmend, entspannend? Nun: eben sahnig. Auch die wach machende, aufputschende Wirkung von Kaffee ist fast jedem bekannt. Sie wird auf den Bestandteil Koffein zurückgeführt. Auch im Tee ist Koffein und macht wach, aber doch ganz anders als Kaffee. Wie sind die Unterschiede zu beschreiben?

Jeder kennt solche Wirkungen von Lebensmitteln, die tiefer gehen oder anhaltender sind als der Geschmack, Wirkungen von Lebensmitteln auf das körperliche oder seelische Befinden.

Nur wird darüber nicht viel geredet oder gar geschrieben. Deshalb fehlen uns auch die Begriffe, um die Effekte zu beschreiben. In anderen Kulturen wie Indien ist die Vorstellung differenzierter Wirkungen von Lebensmitteln auf den Körper und den Geist noch sehr verbreitet. Aber hat diese Seite des Essens über persönliche Vorlieben hinaus eine Bedeutung? Sind Lebensmittel nicht durch ihre Substanzen, ihren Geschmack und die vereinzelten Studien zu Gesundheitswirkungen hinreichend beschrieben?

Hyperaktivität zum Trinken

Dazu ein Beispiel: Im Jahr 2007 veröffentlichten Donna McCann und ihr Team von der Universität Southampton in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift »The Lancet« eine Untersuchung über die Effekte synthetischer Lebensmittelfarbstoffe und Konservierungsmittel auf das Verhalten von Kindern. Gemische der untersuchten Substanzen – gang und gäbe in sogenannten Erfrischungsgetränken oder Fruchtgummis – verursachten bei den 300 drei- sowie acht- und neunjährigen Kindern Effekte von Hyperaktivität. Die Ergebnisse waren derart deutlich, dass die EU reagieren musste, zwar nicht mit einem Verbot, aber einem Hinweis, der seit dem 20. Juli 2010 auf entsprechenden Produkten warnt: »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen«.

Mit Fast-Food in den Mittagsschlaf

Eine andere Dimension des Themas zeigen Versuche über die Auswirkungen unterschiedlicher Arten von Mittagessen auf die Leistung von Schülern. Zum Beispiel ließ ein Fernsehsender die Versprechen eines Bio-Caterers an einer Schule in Bochum prüfen. Eine Schulklasse testete 45 Minuten nach dem Mittagessen die Konzentration und das Gedächtnis. Einmal wurde Fast-Food serviert, an einem anderen Tag das Vollwert-Menue des Caterers. Durch das Bio-Vollwert-Menue steigerte sich die Gedächtnisleistung von 42 auf 61 Prozent und die Konzentrationsfähigkeit von 33 auf 79 Prozent (http://www.biond.de).

In der Wissenschaft wächst das Interesse an lebensmittelinduzierten Emotionen. Hier einige repräsentative Beispiele.

Macht Fisch glücklich?

Sind Substanzen oder Lebensmittel mit vermuteter oder erwiesener Gesundheitswirkung auch für die Seele gut? Beispielsweise Omega-3-Fettsäuren, die in Fisch, aber auch in Milchprodukten enthalten sind, die vor allem im Hinblick auf Herz-Kreislauferkrankungen förderlich sein sollen. In Neuseeland – einem Land mit geringem Fischverzehr und hoher Depressionsrate – untersuchten Forscher 2002 den Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen (Silversand & Scott). Und tatsächlich waren die Viel-Fisch-Esser in der Selbsteinschätzung mental gesünder als jene, die wenig oder keinen Fisch aßen. Die Forscher führten dies auf die Omega-3-Fettsäuren zurück. Vor dem Hintergrund solcher Ergebnisse kamen Beezhold u.a. (2010) zur Frage, ob Vegetarier nicht eine entsprechend ungünstigere Gemütsverfassung aufweisen. Interessanterweise zeigten diese jedoch – entgegen der Erwartung der Forscher – in der Befragung die bessere Stimmung als die Vergleichsgruppe.

Dies zeigt, dass einfache Schlüsse über den Zusammenhang zwischen Fischkonsum, Omega-3-Fettsäuren und Gemütsverfassung nicht möglich sind.

Pizza, Schokolade & Eis

In der aktuellen Grundlagenforschung über lebensmittelinduzierte Emotionen fällt auf, wie oft Kaffee, Pizza, Pasta, Eis und vor allem Schokolade als Proben herangezogen werden.

Weitreichende Folgerungen über unsere Ernährung sind daraus nicht zu ziehen, (eher über die Vorlieben der Forscher), aber doch manchmal Erkenntnisse über die Wechselwirkung von Essen, Sinneseindrücken und Psyche. So untersuchten Walla u. a. (2010) die Intensität der Schreckreaktion verursacht durch ein lautes Geräusch nach dem Verzehr unterschiedlicher Lebensmittel. Bemerkenswert waren die Geschlechterunterschiede. Frauen entspannten sich nach Joghurt und Schokolade gut, während bei Männern keine Effekte auftraten.

Auch die Marketing-Forschung entdeckt den Zusammenhang zwischen Emotionen und Lebensmitteln. Ein Beispiel ist die Arbeit von Thomsen u. a. (2010). Probanden wurden gefragt, welche der vorgegebenen emotionalen Begriffe sie mit der Verkostung von neun dunklen Schokoladen in Verbindung bringen. Die nachgefragten Kriterien wie luxuriös, arrogant, kraftvoll oder traditionell weisen auf eine Deutung lebensmittelinduzierter Emotionen: Welche Assoziationen werden durch das Lebensmittel geweckt? Assoziationen können sowohl durch die Wirkung, als auch durch Erinnerungen, persönliche Vorlieben und den sozialen Hintergrund hervorgerufen werden. Auf jeden Fall gelang es den Probanden, die Schokoladen auf diese Weise zu differenzieren.

Fasst man den Kenntnisstand der Forschung zu lebensmittelinduzierten Emotionen zusammen, wird deutlich (Hermann 2011): Assoziationen und tatsächliche Wirkungen werden selten getrennt. Es wird viel mit Convenience-Produkten (Fertiggerichten) und Genussmitteln gearbeitet. Aufschlussreiche Untersuchungen über Grundnahrungsmittel fehlen weitgehend.

Ein psychologischer Test für Lebensmittel

An unserem Institut nutzen wir die Erfahrung geschulter Selbst-Beobachter seit Jahren in der Forschung an Lebensmitteln. Aus vielen Seminaren wissen wir, wie schnell Ungeübte meistens lernen, Befindlichkeitswirkungen von Lebensmitteln an sich zu bemerken. Umso mehr überrascht es, dass in dem Wissenschaftsbereich, der Methoden für die Selbstbeobachtung liefert, der Psychologie, unter den Hunderten von Testverfahren keines für Lebensmittel zu finden ist.

Aus diesem Grund haben wir uns 2010 auf den Weg gemacht, selbst einen entsprechenden Test zu entwickeln. Einen guten Ausgangspunkt stellt dafür die Sensorik dar, die Wissenschaft vom Geschmack. Verschiedene Sensoriktests liegen vor, die durch internationale Normen definiert sind. Mit dem Technologie-Transfer-Zentrum in Bremerhaven fanden wir einen professionellen Partner für unsere Experimente.

Unsere erste Versuchsfrage war, ob ungeschulte Menschen, in diesem Fall Bio-Konsumenten, erkennen können, wie Lebensmittel auf sie wirken. Die Zweite war, ob es den Prüfern gelingen wird, feinere Unterschiede zu entdecken.

Wie in einem sensorischen Konsumententest bekamen die je 60 Prüfer verschlüsselte Proben in zufälliger Reihenfolge. Dabei saßen die Prüfer in einer Kabine unter definierten Bedingungen. Jeweils drei bis vier Proben wurden in den sechs Experimenten geprüft. Die Probanden bekamen einen Fragebogen mit sechs polaren Fragen, wie: Fühlen Sie sich eher ruhig oder unruhig, wach oder müde, warm oder kalt, aufrecht oder gedrungen und besser oder schlechter gestimmt? In 25 bis 30 Minuten war der Fragebogen auszufüllen.

Zu meiner Überraschung konnten die Prüfer einige Unterschiede deutlich erkennen: Nach Kartoffeln fühlt man sich müder, aber beruhigt, hier im Vergleich mit Möhren und Tomaten. Milch führt zu einem Wärme- und Ruheeindruck im Unterschied zu Sojamilch. Dies sind einige Aussagen, die jetzt wissenschaftlich abgestützt sind.

Immerhin als Tendenz konnten die Prüfer auch Herkünfte (Demeter, Bio, konventionell) von sonst vergleichbarer Milch und Zuchtmethoden bei Möhren (biodynamisch oder F1-Hybride) unterscheiden.

Diese sechs Experimente sind nur der erste Schritt bei der Entwicklung eines standardisierten Verfahrens zu Bewertung von psychischen Lebensmittelwirkungen. Mit dem zu entwickelnden »Schnelltest« hoffen wir, das Thema bekannt zu machen und ein einfaches, aber solides Instrument für die praxisnahe Forschung in die Hand zu bekommen. In Kürze sind weitere Versuche geplant, die den Test schärfen sollen. Inwieweit der Geschmack und die Wirkung auf das Befinden zusammenhängen, und ob sich die Ergebnisse der Selbstbeobachtung im Test (zum Beispiel »ich fühle mich eher wach«) durch Verhaltenstests bestätigen lassen, soll ebenfalls geprüft werden.

Ein neues Kapitel in der Lebensmittelbewertung

Die Herstellung unserer Lebensmittel unterscheidet sich erheblich: von der Haltung der Tiere, ihrem Futter, der Düngung der Pflanze über viele Einflüsse der Verarbeitung bis zur Verpackung. Sollten sich schonende oder zerstörende Verarbeitung, tiergerechte oder tierquälerische Haltung, natürliche oder synthetische Zusatzstoffe bis auf das körperliche und seelische Befinden nach dem Verzehr der Produkte auswirken? Einige Indizien deuten in diese Richtung.

Die Potenziale zukünftiger Anwendungen schätzen wir als sehr groß ein. Was biete ich als Unternehmer oder Schule in der Kantine an? Welche Lebensmittel fördern oder hemmen und wenn, was? Welche Lebensmittel sind für welchen Zweck am günstigsten? Wie bedeutsam sind individuelle Bedürfnisse? Dies sind Fragen, die in Zukunft beantwortet werden müssen.

Unabhängig vom Anwendungscharakter des geplanten Testverfahrens: Die Forschung zeigt: Lebensmittel haben – unabhängig von Genuss und persönlichen Vorlieben – einen Einfluss auf unsere Psyche und unser Leibgefühl. Hier ist unsere Vorstellung von Lebensmitteln zu erweitern.

Die Wissenschaft ist langsam. Bis unser tägliches Leben durch neue Methoden und Erkenntnisse beeinflusst wird, wird noch etwas Zeit vergehen.

Die gute Nachricht ist: Sie können es selber. Mit etwas Ruhe und innerer Aufmerksamkeit können Sie in ein oder zwei Minuten schon einen Eindruck erhaschen. Es helfen Vergleiche und der Austausch darüber. Wenn Sie von der eigenen Beobachtung überrascht sind, ist das ein gutes Zeichen für eine unbefangene Wahrnehmung. Hier gibt es viel zu entdecken.

Zum Autor: Dr. Uwe Geier, Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise e.V., Brandschneise 5, 64295 Darmstadt, E-Mail: geier@forschungsring.de

Literatur: U. Geier u.a.: First steps in the development of a psychological test on the effects of food on mental well-being. In: J Sci Food Agric. 13 Jun 2012

D. McCann u.a.: Food additives and hyperactive behaviour in 3 and 8/9 year old children in the community. In: The Lancet, 6 September 2007

K.M. Silversand u.a.: Fish consumption and self-reported physical and mental health status. In: Public Health Nutrition (2002), 5: pp 427-431, 02 January 2007

B.L. Beezhold u.a.: Vegetarian diets are associated with healthy mood states: a cross-sectional study in Seventh Day Adventist adults. In Nutrition Journal 2010, 9:26

P. Walla u.a.: Food-evoked changes in humans: Startle response modulation and event-related brain potentials (ERPs). In: Journal of Psychophysiology 24(1): 25–32 (2010)

D.M.H. Thomson u.a.: Linking sensory characteristics to emotions: An example using dark chocolate, Food Quality and Preference, Volume 21, Issue 8, December 2010, S. 1117–1125

Ina Hermann: Wirkung von Lebensmitteln auf die Psyche, Ergebnisse einer Literaturrecherche, Forschungsring-Materialien Nr. 25, Forschungsring e.V. Darmstadt, 2011