Online ist das Leben spannender

Mathias Maurer

Liebe Leserin, lieber Leser,

Stille im Haus. Keiner da? Ein Blick auf den Rooter: Sie sind online. Immer noch online. Vor vier Stunden, als ich ging, gingen sie online. Das ist eine mehr als ausreichende Tagesration für Vierzehn- und Sechszehnjährige, denke ich. Ich rufe in verbindlichem Ton nach oben: »Offline in fünf Minuten«. »Nein!«, kommt es zurück. Nach exakt fünf Minuten ziehe ich den Stecker. Drei, vier Sekunden und es beginnt ein abendfüllendes Stressprogramm ...

Wer mit jungen Leuten zusammenlebt, kennt die endlosen Diskussionen um Internet- und Computernutzungszeiten. Jeder Versuch, vernünftige Regelungen und Vereinbarungen zu treffen, bedeutet Entzug, wirkt wie ein Angriff aufs Leben. Ihre digitale Existenz, die sie zu versorgen haben, ist bedroht. Erinnern Sie sich noch: Mit Tamagochis fing es an. Sie starben, wenn man sie nicht mit digitalen Streichelein­heiten fütterte und dafür lebensverlängernde Herzchen kassierte. Das ist im Prinzip in der virtuellen Community immer noch so – nur der Gruppendruck hat sich um ein Vielfaches erhöht. Aussteigen ist fast schon so schwierig wie bei Scientology. Man wird selbst zum gelben kleinen Männchen.

Warum üben Internet und Computerspiele solch einen ungeheuren Sog auf junge Menschen aus?

Es muss sich um etwas handeln, was es in der virtuellen Welt noch und in der realen Welt nicht mehr gibt.

Erstens: Kommunikation. Für Jugendliche ist Kommunikation alles. Früher hing man stundenlang am Telefon oder schrieb die nutzlosesten SMSe. Jetzt ist es Facebook – vor allem bei Mädchen. Hier gibt es kein Limit für die narzisstisch aufgeladenen Träumereien, hier wird ein schämiger Backfisch zum coolen Vamp und verdreht sich und anderen die Köpfe.

Zweitens: Abenteuerlust. Keine gefährlichen Spiele, keine Mutproben, keine Bandenkriege. Stattdessen Rasen betreten verboten und besorgte Mütter, stattdessen führt Fußball spielen in der Garageneinfahrt zum wütenden nachbarlichen Aufstand und eine deftige Schneeballschlacht zum Schulverweis. Es gibt kein Platz mehr für Heldentum. Das finden jetzt vor allem die Jungs in den mystisch-heroischen Welten von »War Craft«. Hier wird der junge Spieler zum interaktiven Siegfried.

Das wirkliche Leben ist für viele junge Menschen so kleingetaktet, kontrolliert, langweilig und vorhersehbar, dass ihnen die Fluchten in die virtuelle zur spannenden Alternative werden. Ein Problem haben wir allerdings nicht im Griff: Die virtuelle Welt hat massive Rückwirkungen auf die reale. ‹›

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer