In Bewegung

Pädagogische Qualitätsentwicklung an Waldorfschulen

Klaus-Peter Freitag et al.

Wie können sich Lehrer:innen in dieser anspruchsvollen Aufgabe gegenseitig wahrnehmen und unterstützen? Wie können die grundlegenden Kräfte der Ermutigung und Sicherheit gepflegt und gestärkt werden?

Das Anliegen

Die Qualität einer Schule hängt maßgeblich vom Unterricht und der kollegialen Zusammenarbeit ab. Die Unterrichtsqualität wird durch einen hochgradig komplexen Prozess bestimmt. Eine zentrale Bedeutung hat dabei das Bedürfnis der einzelnen Lehrerpersönlichkeit, ihren Unterricht fortlaufend zu reflektieren und weiter zu verbessern, indem sie in einen beständigen Entwicklungsprozess eintritt, der sie stärkt und ihre Begeisterung am Unterrichten erhält. Dabei hat sich als besonders hilfreich erwiesen, wenn Kolleg:innen wechselseitig im Unterricht hospitieren und sich danach gegenseitig spiegeln und unterstützen. Hier setzt das Verfahren zur pädagogischen Qualitätsentwicklung an, indem es verbindliche Angebote zur internen wie externen Hospitation mit bewährten Regelungen der Reflexion macht.

Erfahrungsbericht I: Wie in Köln alles begann ...

Nach der Errichtung eines Schulgebäudes Mitte der neunziger Jahre und nachdem man im Stadtteil Köln-Chorweiler einigermaßen Fuß gefasst hatte, wurde für das Kollegium deutlich, dass in der Selbstverwaltung und auch im pädagogischen Kernbereich neue Herausforderungen zu meistern waren. Als Folge kam es zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe, die pädagogische Innovationen vorbereiten sollte. Zunächst wandte man sich u.a. der Mentorenschulung zu, die im Rahmen der nordrhein-westfälischen Landesarbeitsgemeinschaft erfolgreich zu wirken begonnen hatte.

Im nächsten Schritt wurden Delegierte der Schule beauftragt, in verschiedenen Arbeitstreffen an der Entwicklung eines waldorfeigenen Qualitätsverfahrens unter Leitung von Richard Landl mitzuwirken. Kollegium und Elternschaft waren bald überzeugt, hier ein wirksames und zeitgemäßes Instrument der Qualitätsentwicklung zu haben, das – anders als manche staatlichen Qualitäts­kontrollsysteme – den Unterrichtenden eine selbst gesteuerte Verbesserung von Unterricht und kollegialer Zusammenarbeit ermöglichte. So fiel der Entschluss nicht schwer, als eine von drei Pilotprojektschulen das neue Verfahren mit seinen drei Säulen Intervisionsarbeit – interne Hospitationen – externe Hospitationen für zunächst zwei Jahre (2008 bis 2010) einzuführen. Auch die wissenschaftliche Begleitung und anschließende Evaluation durch Frau Prof. Heinritz vom Fachbereich Bildungswissenschaft der Alanus-Hochschule war willkommen und wurde – trotz des damit verbundenen zusätzlichen Zeitaufwands – als sinnvoll empfunden.

Für die Intervisionsgespräche stand je ein Monat pro Schulhalbjahr zur Verfügung, in dem die Intervisionsgruppen sich wöchentlich im Rahmen der Konferenzen trafen. Die Intensivphasen mündeten jeweils in einen gemeinsamen Rückblick und Erfahrungsaustausch aller Gruppen. Später schlossen sich daran die gegenseitigen Unterrichtshospitationen an. Trotz viel guten Willens aller Beteiligten war es nicht immer ganz leicht, für die externen Hospitationen durch ausgebildete Waldorf-Mentor:innen eine genügende Anzahl von Kolleginnen und Kollegen zu finden. Die positiven Berichte über anschließende Auswertungsgespräche auf Augenhöhe wirkten aber ermutigend, sodass manche Berührungsängste überwunden werden konnten.

Im Rückblick nach zwei Jahren war die überwiegende Meinung des Kollegiums, dass der Gewinn dieses Verfahrens vor allem auf zwei Ebenen zu sehen ist: Zum einen bewirkt der Austausch in den Intervisionsgruppen eine Steigerung von Achtsamkeit und Vertrauen im Umgang miteinander (nicht nur innerhalb der Gruppen), zum anderen können die Unterrichtenden vor allem durch die gegenseitigen Hilfestellungen in Verbindung mit den Hospitationen leichter ihre eigenen Entwicklungspotenziale entdecken und sich dadurch in einen fruchtbaren Prozess der selbst gesteuerten Weiterbildung begeben.

Die Erfahrungen bewogen das Kollegium und die Eltern in den Gremien, die pädagogische Qualitätsentwicklung als festen Bestandteil dauerhaft in die Schulstruktur zu integrieren. Außerdem wurde die Möglichkeit ergriffen, das durchgeführte Verfahren von einer unabhängigen, externen Organisation zertifizieren zu lassen, was 2014 nach Überprüfung der praktizierten und transparent dokumentierten Maßnahmen durch die Firma SocialCert in München erfolgte und 2017 erneuert wurde. Wichtig war in dem Zusammenhang die Erkenntnis, dass das Zertifikat nicht einen bestimmten Qualitätsstandard bescheinigt, sondern vielmehr bestätigt, dass die Schule über ein Verfahren verfügt, aus eigenen Kräften Qualität weiterzuentwickeln – und dass dieses Verfahren erfolgreich praktiziert wird.

Erfahrungsbericht 2: Begleitung einer Schule im Aufbau mit Elementen des Pädagogischen Qualitätsverfahrens

Dresden-Neustadt 2013: 13 Schüler:innen werden als »C-Klasse« der Freien Waldorfschule in Dresden eingeschult. Es gibt ein Jahr Zeit für die gründungswilligen Eltern, dann muss die neue Schule »fertig« sein. So war die Bedingung. Die Eltern dieser Schüler:innen haben das wirklich geschafft!

Seit 2014 gibt es die Neue Waldorfschule Dresden. Die Räume wurden schnell zu klein, Container fanden in der Nachbarschaft Platz. Wichtig ist dem Team bis heute, eine »Schule für alle« zu sein und auch Schüler:innen mit besonderen Bedürfnissen gute Entwicklungsräume zu schaffen. Mit vielen praktischen Tätigkeiten, langen Pausen und einem hygienischen Tagesablauf wurde der Raum für soziale Begegnungen geschaffen, der auch für die größeren Schüler:innen weitergeführt werden sollte.

Doch nicht nur größer wurden die Schüler:innen, sondern es wurden auch viel mehr! Als wir endlich unser Grundstück hatten, kamen sogar zwei Klassen pro Jahr hinzu, denn aufgrund der starken Nachfrage war die Entscheidung zur Zweizügigkeit gefallen.

Wir nahmen also nicht nur Jahr für Jahr neue Kinder in unsere Schule auf, sondern stellten immer mehr neue Pädagog:innen ein. Oft waren es Menschen aus dem schulischen Umfeld, häufig auch Eltern, die sich stärker mit der Schule verbinden wollten und bereit waren, bei uns zu arbeiten. Oft hatten sie viel Mut, viel guten Willen und Begeisterung für das gemeinsame Ziel, aber keine oder eine geringe Ausbildung. Von Beginn an waren wir als Schule gefordert, unsere Neuen für ihre schulischen Aufgaben auszubilden. Wir stellten Ihnen Mentor:innen an die Seite, baten unsere Patenschule um Unterstützung, berieten uns mit dem Lehrerseminar in Dresden, finanzierten die berufsbegleitende Ausbildung und jede Menge Weiterbildungen, schufen schon bald ein Einarbeitungskonzept und verschiedene Unterstützungen. Die Aufgabe, die Neuen in ihre Tätigkeit einzuführen, grundlegende methodische und (waldorf-)pädagogische Fähigkeiten zu veranlagen, und die Qualität von Unterricht oder Betreuung sicherzustellen, das war und ist eine große Aufgabe für unser ganzes Kollegium.

Inzwischen haben wir 2022. Wir befinden uns in einem ausgedehnten Containerdorf neben einer riesigen Baustelle. Der Praxisbereich lebt in der unterrichtsbegleitenden Hort- und der Schulklubwerkstatt, in Wahlprojekten ab Klasse 7 und im wöchentlichen Praxisfreitag der Mittelstufe, der mit vielen Partner:innen aus Landwirtschaft, Handwerk, der Universität und Dresdner Firmen unseren Schüler:innen den Weg ins »echte Leben« weist.

Bei uns lernen inzwischen 316 Kinder in 14 Klassen mit 45 Lehrkräften. Langjährig erfahrene Lehrkräfte gibt es nur zwei oder drei – viel zu wenige, um eine gute Begleitung aller Neuen zeitlich zu leisten. Wir suchten also externe Mentor:innen und mussten schnell feststellen, dass es nicht so einfach ist, in dem sehr dynamischen Umfeld einer jungen Schule mit unserem Profil von außen zu betreuen.

Was tun? Irgendwann wurden wir auf das Qualitätsverfahren des Bundes aufmerksam. Der Ansatz, innerhalb des Kollegiums die Qualität im System zu steigern, passte für uns sehr gut. Wir fragten nach und hatten das Glück, als eine von fünf Schulen das Verfahren durch Bundesmittel und Unterstützung der Software-AG-Stiftung gesponsert zu bekommen. Seit 2019 genießen wir nun die hervorragende Betreuung durch mehrere externe Mentor:innen! Sie kamen mit großem Respekt zu uns, stellten ihr Verfahren vor und fragten, ob wir bereit wären, uns auf Einblicke, Hospitationen und Gespräche einzulassen. Die Frage wunderte die meisten: »Was heißt hier ›einlassen‹? – Miteinander zu sprechen ist die Basis unserer Arbeit!« Natürlich waren wir bereit und das Kollegium stimmte einmütig zu. Seitdem haben wir Schulungen zur Technik der Intervision erhalten, wurden wieder und wieder – manchmal von vier Begleiter:innen gleichzeitig – hospitiert und hatten viele gute Gespräche über unsere Arbeit. Die Kolleg:innen freuen sich auf die externe Beratung und haben sie sehr schätzen gelernt. Die Hospitationszeiten in den Tabellen zu füllen ist anfangs immer etwas mühevoll: »Ohjee, gerade an dem Tag will ich, hab ich, muss ich doch … !?!«, aber nach dem Nachgespräch gab es bislang niemanden, der nicht mit dankbaren Worten seine Zufriedenheit und den Nutzen der Hospitation zum Ausdruck gebracht hätte. Alle zwei Wochen integrieren wir die Arbeit der Intervisions-Gruppen in die Konferenz. Die Gesprächstechnik ist inzwischen geübt, Kolleg:innen genießen es, Raum zur Besprechung ihrer schulbezogenen Herausforderungen zu haben. Jetzt beginnen wir gerade damit, uns in diesen Gruppen gegenseitig zu hospitieren. Unsere eigenen Mentor:innen wurden professionell geschult. Ihre Arbeit wird hervorragend ergänzt durch die Besuche der »Qualitäter:innen«, die mit großem Einfühlungsvermögen, einer hohen Akzeptanz des von uns entwickelten Schulprofils und einer sehr professionellen Arbeitstechnik mit unseren vielen jungen und unerfahreneren Kolleg:innen die pädagogische Arbeit wirklich stützen, bekräftigen und uns damit sehr helfen.

Wie weiter? Im Herbst wird aus unserer neunten Klasse eine zehnte – damit beginnt unsere Oberstufe. Wir haben eine lange Liste von Stellenangeboten. Die Bewerber:innen sind in den seltensten Fällen Lehrer:innen. Sie haben Mut und Lust, an unserer jungen Schule etwas Neues, Zeitgemäßes mit uns aufzubauen. Aber meist haben sie keine Ausbildung, keine praktische Erfahrung, wenig (waldorf-)pädagogischen Hintergrund. Aber – das kennen wir ja schon. Wir werden sie einstellen. Andere haben wir auch gar nicht. Genau diese Menschen wollen mit uns die Schule der Zukunft bauen, und nur darum geht es. Die Kinder sind da, sie brauchen uns, sie brauchen diese zukünftigen Lehrer:innen, die wollen diese Schule.

Also – was wären wir ohne das Pädagogische Qualitätsverfahren?

Wir danken unseren Unterstützer:innen von ganzem Herzen und wünschen uns noch lange diese gemeinsame fruchtbare Arbeit!

Die Mitglieder des Qualitätsteams möchten interessierte Waldorfschulen einladen und ermutigen, sich systematisch mit den Themen des kollegialen Lernens durch Intervision und Hospitation zu verbinden, sowie sich für Anregungen eines freundschaftlichen Blickes von außen zu öffnen. Weiterführende Informationen finden Sie im Flyer unter: https://t1p.de/qualitaetsentwicklung

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