Panik, Presse und Pegida

Ute Hallaschka

Nun zeigt das Spiegelbild in Sachsen Entwicklungen, die ratlos machen. Soll man sich an den Vorabend des Zweiten Weltkriegs erinnert fühlen, als sich abzeichnete, dass die rechte Propaganda auf fruchtbaren Boden fallen und die Welt in Brand setzen würde? Oder ist gar ein baldiger Bürgerkrieg zu befürchten?

Was sich zusammenrottet und in den Pegida-Aufmärschen zu Felde zieht, das ist gekennzeichnet durch zwei Parolen: »Wir sind das Volk!« und »Lügenpresse«. Übersetzt man diese Schlagworte nüchtern in eine Empfindung, dann handelt es sich um Unzufriedenheit dem Staatswesen gegenüber; diese wird erfahren als nicht mehr formulierbar, da die Presse die Wirklichkeit verstellt, verdeckt, beherrscht. Letztere wird in der Verquickung der beiden Parolen quasi an Stelle der Stasi gesehen. Abgesehen davon, dass dies schon deshalb Unfug ist, weil die Vielfalt und Bandbreite des deutschen Pressewesens diesen Kurzschluss widerlegt, auch wenn sie sich im Besitz einiger weniger Familien oder Konzerne befindet, lohnt sich ein zweiter Blick auf diese spezielle Ohnmachtsempfindung.

»Die Presse« als staatlich gelenktes Organ kennzeichnet die Struktur einer Diktatur oder eines totalitären Systems. Offenbar will die Masse der braven Bürger, die in der Pegida-Bewegung mitmarschieren, diese Diktatur der Publizistik als strukturelle Gewalt behaupten.

Wider besseres Wissen, denn auf Nachfrage kann diese Behauptung nie belegt werden. Doch das Gefühl bleibt: Die Pegida-Leute meinen, eine Öffentlichkeit schaffen zu müssen, in der sie erhörbar werden.

Hier liegt der eigentliche Brandherd, die Ansteckungsgefahr, dass sich alle möglichen Arten von individuellen Ohnmachtsgefühlen in dieser Bewegung sammeln, sich ihr anschließen, sie verstärken. Will man dies aufhalten, dann muss man sich mit der Frage der Ohnmacht beschäftigen.

Tatsächlich fühlen wir uns tief gekränkt und hilflos, wenn wir belogen werden. Noch gesteigert wird diese Empfindung, wenn wir wissen, dass wir belogen werden. Dies wirft ein neues Licht auf das aktuelle Kulturphänomen der Lüge. Mobbing basiert ja im weitesten Sinne auf dem Lügengespinst. Wir haben uns jedoch im Lauf der Zivilisation angewöhnt, die Lüge für eine rhetorische Figur zu halten. Eine Spielart des gesellschaftlichen Lebens, der wir keinerlei energetische Ladung mehr unterstellen. Lügen ist beinah so selbstverständlich geworden im allgemeinen Leben, wie es unmöglich scheint, die Wahrheit zu sagen. Allein die Vorstellung, ein Politiker träte an, die Wahrheit zu sagen, ist irgendwie lächerlich, oder ein Lehrer, ein Wissenschaftler, der Nachbar oder ich …

Was sich im Wort Wahrheit ausdrückt, ist als Inhalt oder ideelle Erfüllung geradezu märchenhaft geworden. Wie eine Sage aus vergangenen Zeiten. Doch wenn die »Wahrheit« als solche nicht mehr haltbar, fassbar, als Welttatsache vorkommt, wenn sie nur noch innerlich erscheint, als subjektive Realität – als »Reich nicht von dieser Welt« – dann kann es sich bei ihrem Vorkommen nur um ein genuines Erzeugnis handeln. So wie um Produktivität und Originalität, mit der sie von ihrem Erzeuger hervorgebracht wird. Hier stehen wir wieder vor dem Zeitphänomen der Lüge. Sie erweist sich in virtuellen Zeiten als unendlich reproduzierbar. Lügen haben keine kurzen Beine mehr, wie früher – sie sind mitgewachsen. Die Pegida-Anhänger belügen sich selbst, indem sie die eigene Ohnmachtsempfindung einem Sündenbock zuschieben wollen. Im Zentrum der Lüge herrscht ein Sog, eine Leerstelle, die wie ein Zyklopenauge in aller Ruhe anzieht, was aktuell in unserem Gefühlsleben wirbelt. Es könnte brandgefährlich sein, die allgemeine Sprachgewohnheit der Lüge weiter für harmlos zu halten.

Aber wie sich der Wahrheit gegenüber einrichten, als innere Haltung der Wahrhaftigkeit? Da stehen wir im Wort als Zeitgenossen. Als Publikum und Seher von Weltvorgängen, sind wir in neuer Weise verantwortlich für die Sprache, die wir sprechen. Wahrheit sagen, mag aktuell unmöglich scheinen und an Wahrsagerei erinnern – doch sie sagen zu wollen, ist es nicht. Wer dies will, muss nach ihr fragen – sich! Was ihm darin begegnet als Weltvorgang des eigenen Innern, ist reale Willenspraxis. Nur diese hilft gegen Verschwörungstheorien.

Achten wir neu auf unser Wort. Auf jedes Wort, das dem Munde entgeht, ob es von dort stammt, wo wir wirklich sind in der eigenen Seele. Dann wäre es wahr. Auch wenn es Angst, Panik, Ohnmacht zum Ausdruck bringen sollte. Wenn es ehrlich ist, dann ist es Wunde und Bitte um Heilung oder Hilfe. Wer sich ausspricht in seinem Wort, der spricht immer aus Hoffnung, nicht aus Feindschaft. Ist es wahrhaftig das eigene Wort, dann sind wir darin antreffbar und begegnungsfähig. Dann eröffnet sich ein neuer Spielraum der Öffentlichkeit unserer Herzenskraft.

Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin