Phantasie-Schiffbruch

Ute Hallaschka

Vor 12 Jahren erschien die Erzählung »Life of Pi« des Kanadiers Yann Martel. »Schiffbruch mit Tiger« heißt die phantastische Geschichte auf Deutsch und sie galt lange als unverfilmbar. Nun hat der Regisseur Ang Lee daraus einen bildgewaltigen Film gemacht, der für elf Oscars nominiert wurde. Pi lebt mit seinen Eltern in Indien, wo sie einen Privatzoo betreiben. Die Familie beschließt, nach Kanada auszuwandern, und schifft sich mit ihren Tieren ein. Das Schiff geht im Sturm unter und Pi findet sich als einziger Überlebender in einem Rettungsboot. Mit ihm an Bord: ein verletztes Zebra, eine Hyäne, ein Orang-Utan und ein bengalischer Tiger. Der Film erspart uns die Details der zu erwartenden Menüfolge. Am Ende – und das ist die eigentliche Filmhandlung – bleiben Mensch und Raubtier übrig. Ihre zwangsläufige Partnerschaft, die glaubwürdig vermittelt wird, lässt sie gemeinsam 227 Tage auf See überleben. Es geht um ein allmählich gesponnenes, geistiges Band, das Erspüren der gegenseitigen Angewiesenheit. Pis Einfallsreichtum, seine Hoffnung, seine Intuition korrespondieren mit dem Überlebensinstinkt des Raubtiers. Es ist die Geschichte vom Vertrauen ins Leben, die alles Kreatürliche eint.

Schade nur, dass all das aus dem Computer kommt. Nichts im Umgang zwischen Mensch und Tier ist real erspielt – alles ist digitale Animation. Zu allem Überfluss trägt man wieder die 3D-Brille auf der Nase. Diese Technologie ist der Salto Mortale der Filmkunst. Ihre billige Effekthascherei animiert den Sehsinn in blödsinniger Manier. Wir nehmen Plastizität nicht so wahr, wie uns in dieser Technik suggeriert und simuliert wird.

Noch können die in 3D hergestellten Filme in gewöhnlichen Kopien gesehen werden. Die Kinos ordern sie je nach Zuschauerwunsch. Wer noch seine Sinne beieinander hat, der sollte die 3D-Technik boykottieren. Nicht nur wegen den Einwegbrillen, die als gigantischer Haufen Plastikmüll zurückbleiben, sondern wegen der Irrealität dieser Täuschung. 

Schiffbruch mit Tiger (Life of Pi), Abenteuer-Drama, Regie Ang Lee, nach dem Roman von Yann Martel, USA, 127 Min., FSK 12