Zunehmend gäben, so Krautz, Politiker und Vertreter der Wirtschaft das Scheitern zu. Wie aber war es möglich, dass die Reformen gegen den Willen der meisten Bürger und Beteiligten im Bildungswesen durchgesetzt wurden?
Dieser Frage geht er in seinem Beitrag auf der Seite Bildungswelten der FAZ vom 29. September nach. Als Hauptverantwortlichen macht Krautz die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa aus, die mit einer gezielten Strategie der Manipulation und Propaganda ihre Ziele durchsetzte. Bei den Pisa-Tests, so Krautz, gehe es nicht darum, das zu prüfen, was tatsächlich gelernt wurde, sondern um die Etablierung eines normativen Konzepts, das darauf abziele, den Schülern die Fähigkeit beizubringen, sich flexibel an die Erfordernisse der Wirtschaft anzupassen. Dieses Konzept bediene sich des Kompetenzbegriffs, um ein »utilitaristisches Bildungsverständnis am demokratischen Souverän vorbei« durchzusetzen. Auch die Hochschulreform diente lediglich dazu, die Universitäten zum Ort einer »arbeitsmarkbezogenen Qualifizierung« zu machen. Im Resultat führte der Bologna-Prozess zu einer »epistemischen Säuberung«, der Selbstaufgabe der Universitäten als autonomer Bildungsanstalten, wie dies bereits die »Kölner Erklärung« 2009 zum Selbstverständnis der Universitäten formulierte.
Die »kommunikativen Großereignisse Pisa und Bologna« reagierten laut Krautz nicht etwa auf die Wirklichkeit, sondern schufen eine neue Wirklichkeit. Der Bologna-Prozess sei ein propagandistisches »Reformkunstwerk«, das durch zielgerichtete Manipulation der Massen umgesetzt wurde. Wie genau dabei verfahren wurde, welche Methoden der »soft governance« und welche rhetorischen Strategien angewandt wurden, analysiert Krautz in seinem Beitrag.
»Wozu ruinieren wir mit vermeintlich angloamerikanischen Ideen unser Bildungswesen und lassen dabei die wirklichen Erziehungs- und Bildungsprobleme ungelöst?«, frägt Krautz. Abgründig raunt er von der »Torpedierung des Bildungswesens« als »verspäteter Reparationszahlung«, durch die eine starke Volkswirtschaft, der man anders nicht beikommen könne, geschwächt werde.
Siehe dazu den Beitrag »Bildung ist zwecklos, Erziehung grundlos« im Septemberheft 2011.
Jochen Krautz hat 2007 im Diederichs Verlag das Buch Ware Bildung: Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie veröffentlicht.