Ich habe bei Rolf Rein die Vereinfachte Ausgangsschrift gelernt. Ich bin der Überzeugung, ein sehr gutes Handwerkszeug im Schreibschrift-Schreiben und für das Entwickeln einer eigenen Handschrift mitbekommen zu haben. Einfließen lassen möchte ich außerdem Beobachtungen des Schreibenlernens meiner beiden Töchter, die derzeit die 3. und 5. Klasse einer Waldorfschule besuchen und zu meinem Leidwesen die gerühmte »gute alte Lateinische Ausgangsschrift« lernen.
Zur Vereinfachten Ausgangsschrift ist mir wichtig: Sie haben den Hauptkritikpunkt an der Ausgangsschrift benannt: die Anschlüsse der Buchstaben. Ich kann mich nicht erinnern, dies bei Rein so gelernt zu haben, wie es die dargestellte Buchstabentafel nahelegt. Rein hat nicht die Vereinfachte Ausgangsschrift als fertige Blaupause übernommen und mit möglichen Geburtsfehlern uns Schülern beigebracht. Er hat sich die Aspekte, die ihm gegenüber der Lateinischen Ausgangsschrift fortschrittlich und förderlich erschienen, zu eigen gemacht und sie uns mit Herzblut und Sachverstand vermittelt. Genau das entspricht in meinen Augen der Rolle des (Waldorf-)Lehrers beim Lehren der Kulturtechniken.
Aus meiner Sicht besitzt die Vereinfachte Ausgangsschrift drei Vorzüge: Verzicht auf Zierschnörkel – gut zu sehen beim Vergleichen der großen Buchstaben; Abwechslung von Bögen und Ecken – beim Aufstrich zu den Bogen-Kleinbuchstaben wie n, m, r; Auflösen des Diktums, beim Schreibschrift-Schreiben dürfe nicht abgesetzt werden – auch hier sind die großen Buchstaben zu nennen, vor allem aber der Anschluss der runden Kleinbuchstaben a, c, d, g, o, q. Dieser letzte Aspekt scheint mir für die eigene Schreibentwicklung der entscheidendste. Das Stichwort, mit dem Rein uns das Absetzen innerhalb des Schreibflusses nahebrachte, war der »Luftsprung«. Sofort habe ich das von ihm während des Schreibens laut gesprochene Wort im Ohr. Dieser Luftsprung ermöglichte uns, eine Ausgangsschrift ohne Hin- und Herfahren zu lernen. Ich bin dafür sehr dankbar, da meiner Erfahrung nach das Hin- und Herfahren das Schreiben sehr verlangsamt, den Schreibfluss hemmt und – bei schneller und damit nicht mehr exakter Ausführung – zu einer unleserlichen Schrift führt. Außerdem ist meine Beobachtung, dass es kaum erwachsene Schreiber gibt, die diese »Technik« verwenden. Die wenigen, die das tun, haben eine unentwickelte, schlecht lesbare Schrift.
Ich möchte als zweiten Hauptgedanken das Augenmerk statt auf das Schreibergebnis (»Krakelschrift« oder Schönschrift) auf den Schreibprozess, dessen Bedingungen und Vorbereitungen lenken. Aus meiner eigenen Schulzeit erinnere ich eine penible Vorarbeit zum Schreibschrift-Schreiben – alle Aspekte waren wichtig. Es begann mit dem Anpassen von Tischen und Stühlen, um eine gute Sitzhaltung von uns Schülern zu unterstützen. Wir bekamen Tische, die schräg gestellt werden konnten. Es ging weiter mit dem »Schreiben« von Vorübungen und Buchstaben in der Luft und an Wandtafeln. Größter Wert wurde darauf gelegt, dass Hand und Arm nicht verkrampfen. An den Aufruf, die lockere Haltung zu überprüfen, und ein kollektives Handausschütteln bei längeren Texten erinnere ich mich ebenfalls. Er erging auch, als wir schon flüssig schreiben konnten.
Früh wurde der Füller eingeführt. Wiewohl das Schreiben mit dem filigranen Gerät anfangs keinen Spaß machte, wurde uns das Schreiben von Schreibschrift mit Holzstiften erspart. Ganz wichtig war die Rolle des Zeigefingers. Wie schwer war die Übung, den Füller ohne Zeigefinger zu halten, und wie unbefriedigend das Schreibergebnis. Aber wichtig war: Der Zeigefinger sollte nicht aufdrücken, nicht krampfen. Rund und leicht sollte er auf dem Füller liegend beim Schreiben zusehen, während die anderen Finger den Füller hielten. Welche Wohltat, solche Schreibhaltungen noch zu sehen und wie oft sieht es leider anders aus.
Ich habe den Eindruck, dass das Betrachten des Schreibergebnisses allein zu kurz greift. Betrachte ich die Hefte meiner älteren Tochter, sollte ich denken, mit dem Schreiben wäre alles in Ordnung. Schaue ich ihr beim Schreiben zu, komme ich zu einem anderen Schluss. Ich denke, dass es der Waldorfschule gut ansteht, sich mit dem Schreib-Prozess zu beschäftigen und glaube außerdem, dass unsere Kinder nur dann tippen und schreiben werden, wenn ihnen das Schreiben leicht von der Hand geht.
Ich möchte enden mit ein paar Fragen, die ich bei der Beobachtung meiner Töchter und ihres Schreiblernprozesses gesammelt habe: Wie können eine gute Schreibhaltung und das bewegte Klassenzimmer zusammengehen – auch für großgewachsene Kinder? Wie kann eine förderliche Schreib-, Hand- und Stifthaltung in den Blick genommen und im Klassenverband eingeübt werden? Wie hängen die Einführung des Füllers und die Einführung der Schreibschrift zusammen? Was bedeutet es, eine Kulturtechnik zu lehren und wie viel Methode (schrittweises Einführen der Buchstaben), wie viel freilassende Nachahmung (Abschreiben-Lassen von Texten, bevor alle Buchstaben eingeführt wurden) ist förderlich und angebracht?
Zur Autorin: Sabine Weiler besuchte die Freie Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart und ist Geschäftsführerin im Waldorfkindergarten Gohlis in Leipzig.