Am Beispiel einer Geschichte, die Mohammed zugeschrieben wird, macht er deutlich, wie stark sich die arabische und die westlichen Sprachen unterscheiden – und damit auch die beiden Kulturkreise: Mohammed wurde gefragt, ob die ganze Butter verschmutzt sei, wenn eine Maus in sie gefallen sei. Die Antwort: »Werft die Maus weg mit allem, was sie umgibt, und esst die Butter.« Diese Sprache sei blumig, übertrieben, poetisch. Die westlichen Sprachen sind dagegen rhetorisch banal und vergleichsweise steril. Dieser Unterschied lässt sich auf das Verständnis von Kommunikation übertragen: Westliche Politiker pflegten einen Dialog mit ihren Zuhörern, eher selten werde eine appellative Sprache benutzt. Bei einem Appell müsste Position bezogen werden – und das könne der Westen nicht. Denn eine Position basiere auf Werten und der Westen tue nur so, als ob er Werte besitze; er lebe in einem »ästhetischen Universum der Trugbilder«. Und da die direkte, ehrliche Aussage geschätzt werde, empfinde er fälschlicherweise die Sprache des IS als ehrlich. Der IS pflege in seiner Kommunikation keinen Dialog, sondern sage klar, was er wolle und für richtig halte und mache auch keine Kompromisse. So sei auch die Internet-Kommunikation des IS aufgebaut – sie sei allein ein Werkzeug zum Erreichen von Zielen.
Die Definition von Terror kommt aus dem Lateinischen: Bei den Römern bezeichnete er das Recht, jemanden vom eigenen Territorium zu vertreiben. Ein Richter übte also Terror aus und bewirkte damit eine »heilsame Furcht«. Der IS habe genau dieses Verständnis: Menschen, die nicht zum eigenen »Volk« gehören, dürfen vom Territorium vertrieben werden, wobei Volk das »Volk der Gläubigen« bezeichnet. Die Definition »Terrorist« wird also ins Positive gewendet: Er tut etwas Wichtiges für sein Land. Und das Territorium des IS ist in der Eigendefinition die ganze Welt. Daher darf auch in westlichen Ländern Terror angewendet werden – denn die »Ungläubigen« haben das dem IS gehörende Territorium besetzt und dürfen daraus vertrieben werden.
Das Missverstehen des Westens lässt sich mit einer Kapitel-Überschrift aus dem Buch zusammenfassen: »Islamische Porno-Politik«. Eine Form des politisch Bösen (hier: Enthauptungen) kehrt in die Öffentlichkeit zurück. In den entsprechenden Videos wird das Böse regelrecht zur Schau gestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war so etwas geächtet und wurde verdrängt. Wenn der Westen sich jetzt frage: »Wie kann man nur…«, »Sind die krank?«, dann habe man die Bildsprache nicht verstanden: Es ist alles wohl überlegt, der Terrorist ist hier ein Opferpriester, die Enthauptung ist ein Ritual, eine Liturgie. Ohne ein Verständnis der Sprache des Terrors wird man immer wieder die falschen Schlüsse ziehen und mit wirkungslosen Mitteln reagieren.
Philippe-Joseph Salazar: Die Sprache des Terrors. Warum wir die Propaganda des IS verstehen müssen, um ihn bekämpfen zu können, Klappenbroschur, 223 S., EUR 14,99, Pantheon-Verlag, München 2016